Das Ende der Ehe?

Ehepaar mit Hund am Tisch
© Getty-Images/iStockphoto/RossHelen / evangelisch.de (M)
Was ist von der Abschaffung der Institution der Ehe zu halten, auch aus christlicher Sicht? Kolumnist Alexander Maßmann meint, in diesem Zusammenhang ist ein Diskurs nötig über häusliche Gewalt, Ehegattensplittung und die Normen der Ehe.
Kolumne: evangelisch kontrovers
Das Ende der Ehe?
Im Augenblick wird viel die feministische Forderung diskutiert, die Ehe abzuschaffen. Was ist davon zu halten, auch aus christlicher Sicht? Laut dem Ethik-Kolumnisten Alexander Maßmann müssen wir mehr über häusliche Gewalt sprechen.

Die Politikwissenschaftlerin und Feministin Emilia Roig sorgt gerade mit einem Buch für Aufsehen, das den Titel trägt "Das Ende der Ehe". Sie fordert, alle Vorrechte und Pflichten abzuschaffen, die man erhält, wenn man die Heiratsurkunde unterzeichnet, denn besonders die rechtliche Form der Ehe sei eine "Säule des Patriarchats". Dabei geht es um sehr konkrete Dinge: Verheiratete Frauen verdienen weniger Geld als Männer (die Einkommenslücke), so dass sie häufiger von Altersarmut betroffen sind; sie haben klar mehr Fürsorge-Arbeit zu schultern als Männer (Haushalt, Erziehung, Pflege: die Fürsorgelücke), und Frauen leiden oft unter Gewalt durch den Partner. 

Für viele Frauen bedeutet die Ehe eine Belastung. Besonders krass ist, dass Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland erst 1997 zur Straftat wurde. Andererseits verbinden wir keine andere Lebensform so sehr mit einem christlichen Leben wie die gute alte Familie – teils auch deshalb, weil die Ehe traditionell das Instrument ist, mit dem man Altersarmut gerade zu vermeiden sucht. Und natürlich sind sehr viele Ehen gute Ehen: Dort sind Verlässlichkeit und Beistand gelebte Realität, vermutlich mehr noch als Roig anerkennt. 

Es fragt sich aber, ob der Preis nicht zu hoch ist. Muss man aus ethischer Sicht nicht abwägen und sagen: Verlässlichkeit und Treue kann man auch praktizieren, wenn wir die Ehe nicht mehr mit rechtlichen und kulturellen Regeln hochhalten – Hauptsache, wir schaffen einen wichtigen Faktor ab, der Gewalt und Altersarmut begünstigt?

Das Ehegatten-Splitting und die traditionellen Rollen

Die rechtlichen Regelungen sind für Roig nicht alles: Wir haben auch kulturelle Muster, in denen Mädchen die Einstellung entwickeln, dass ihr Leben erst vollständig sei mit ihrer eigenen Familie – tendenziell mit traditionellen Rollen.

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Sollen wir als Gesellschaft die Ehe abschaffen?

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Doch klarer greifbar ist der Effekt des Steuerrechts mit dem Ehegatten-Splitting. Wenn zwischen Ehepartnern klare Verdienstunterschiede bestehen und sie ihr Einkommen gemeinsam veranlagen, wird für das höhere Einkommen ein weniger hoher Steuersatz berechnet, und insgesamt hat das Paar mehr Geld zur Verfügung. Dass die Frau weniger verdient, wird so einigermaßen ausgeglichen. Traditionell war das für den Mann – also für den wirtschaftlich stärkeren Part – ein Anreiz, der Frau die Treue zu halten und sich zu seiner Verantwortung ihr gegenüber zu bekennen. Doch die Verhältnisse haben sich geändert. 

Für Frauen ist die Erwerbstätigkeit heute sehr viel klarer eine Option als noch vor fünfzig Jahren, als ihre Angewiesenheit auf den Mann weniger hinterfragt wurde. Heutzutage zementiert das Ehegatten-Splitting tendenziell die Einkommenslücke und die Fürsorgelücke. Denn diese steuerliche Regel verringert den finanziellen Anreiz für die Frau, nach größerer wirtschaftlicher Gleichheit in der Beziehung zu streben. Das ist ein Problem, weil Frauen häufiger als Männer von Altersarmut betroffen sind. 

Häusliche Gewalt

Wenn der Mann der Versorger der Frau ist, ist außerdem für sie die Hemmschwelle höher, sich vom Partner zu trennen – auch dann, wenn starke Gründe für eine Trennung sprechen. Über 115.000 Mal haben Frauen 2021 ihren Partner oder Ex-Partner wegen häuslicher Gewalt angezeigt (Deutschland). Die Dunkelziffer ist natürlich wesentlich höher: Opfer von Gewalt neigen dazu, blaue Flecken zu verstecken statt den Täter anzuzeigen. Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt.

Weil die traditionelle Versorger-Ehe steuerlich begünstigt wird, sind Frauen wirtschaftlich und psychologisch mit einer höheren Hürde konfrontiert, wenn sie aus einem solchen Ehe-Gefängnis ausbrechen wollen. Als Gesellschaft geben wir dem Mann zu viel Macht über die Partnerin.

Schweigen

Häusliche Gewalt ist das krasseste Problem der Institution Ehe. Hier müssen die Alarmglocken schrillen. Doch ausgerechnet dieses Thema wird in den vielen Diskussionen von Roigs Buch gemieden – ob im Fernsehen, in Zeitungen, in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen oder in Podcasts. Die mediale Aufbereitung des Buches hat zum Glück wichtige – und teilweise auch sehr provokative – Beobachtungen von Roig aufs Tapet gebracht. Eigenartig ist aber, dass die Medien die häusliche Gewalt eher unter den Teppich kehren, wenn sie Roigs Buch diskutieren. Typisch: Gewalt in der Partnerschaft wird ohnehin tabuisiert. Dass man über die häusliche Gewalt nicht spricht, ist einer der Gründe, weshalb sich das Muster stets wiederholt. Nun hat eine mutige Autorin den "Elefanten im Zimmer" klar benannt – doch leider fallen die Diskussionsrunden über ihr Buch zurück in das alte Muster und reden wieder nicht über das Problem.

Die Ehe in der Bibel

Traditionell ist die Ehe ja das Mittel, durch das man Altersarmut zu vermeiden suchte. In der Bibel sind noch die Kinder für die Versorgung der Eltern im Alter verantwortlich – darum geht es im Fünften Gebot ("Vater und Mutter ehren"). In 1. Mose 1 und 2 erschafft Gott den Menschen idealtypisch als Mann und als Frau. Dort ist zwar nicht ausdrücklich die Rede von der Ehe (dafür gibt es kein Wort im Bibelhebräisch), doch es erscheint selbstverständlich, dass sich Mann und Frau dauerhaft aneinander binden. In 1. Mose 2,24 heißt es, der Mann verlasse seine Eltern und schließe sich ("matrilokal") dem Haushalt der Frau an – er soll also bei den Schwiegereltern einziehen. Demgegenüber setzt die Hebräische Bibel andernorts  voraus, dass ein wohlhabender Mann auch mehrere Frauen haben kann, aber nicht umgekehrt. Für die Ehe mit Kindern spricht außerdem, dass man die Arbeitskraft der Kinder benötigt. Die Kindersterblichkeit ist allerdings hoch, und so werden Ehe und Familie rechtlich besonders geschützt. 

Seit Einführung des Rentenwesens sind wir im Alter nicht mehr wirtschaftlich auf die Unterstützung durch die Kinder angewiesen. Es bleibt aber die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frau vom Ehemann, weil sie weniger in die Rentenkassen einzahlt. Kulturell hat die Moderne die Position der Frau gesichert, als man die Partnerschaft romantisch und emotional aufgeladen hat. Dennoch bleibt ihre Position prekär. Und das Problem der Gewalt in der Ehe schließlich nimmt die Bibel praktisch nicht wahr.

Die Norm der Ehe als einer lebenslangen, exklusiven Verbindung, in der der Mann einen Vorrang hat, ist in den Zeiten der biblischen Autoren allmählich als eine Antwort auf praktische Erfordernisse des Alltags gewachsen. Doch mit echter theologischer Leidenschaft, als Zweck an sich, spricht die Bibel nicht über die Ehe (abgesehen möglicherweise von der problematischen Passage Epheser 5,21–6,9). Jesus und Paulus waren außerdem nicht verheiratet.

Aus christlicher Sicht sollten wir die Ehe als die praktische Form wertschätzen, in der Partner danach streben, Verbindlichkeit, Beistand und Treue dauerhaft zu praktizieren. Das lässt aber viel Raum für verschiedene Regelungen – und vor allem ist das kein Grund, Opfer von häuslicher Gewalt auf dem Altar der Ehe zu opfern. Deshalb argumentiere ich dafür, die Ehe nicht abzuschaffen, sie aber zu reformieren.

Gegen die Abschaffung der Ehe

Die Abschaffung der Ehe ist ein radikaler Vorschlag. Dass z.B. die Kirchen den Traugottesdienst aus dem Programm der Klassiker rausnehmen oder offen zu einer Segnung einer mittelverbindlichen Lebensabschnittspartnerschaft reduzieren, wäre nicht vermittelbar. Die Eheschließung ist kulturell eine bedeutende Schwelle, in der zwei Menschen über ihr Leben bestimmen, indem sie sich religiös, kulturell und rechtlich an einen Partner binden. Eine solche verbindliche Verpflichtung ist biographisch ein bedeutender Übergangsritus. Er ist sowohl mit positiven Emotionen als auch mit Ungewissheit verbunden. Wir sollten ihn wertschätzen als einen Weg der persönlichen Reifung – auch wenn der Status als Single keineswegs abzuwerten ist.

Neben der kulturellen Wertschätzung der Ehe verlangt das Grundgesetz auch ihre rechtliche Stärkung. Neben dem Ehegatten-Splitting bestehen deshalb besondere Erbschaftsregeln oder z.B. das Recht, in einer Notsituation medizinische Entscheidungen für den Partner zu treffen. 

Vom Regen in die Traufe?

Wie sich mit einer Abschaffung der Institution Ehe die Benachteiligung von Frauen verringern würde, ist aber nicht immer klar. Sie hat auch andere Gründe, die bei weniger formellen Arten der Paar-Beziehung weiterbestehen. Der geringere Verdienst von Frauen liegt z.B. auch an sexistischen Chefs, die verantwortungsvolle Positionen an Männer geben und nicht an Frauen. Sinnvolle bestehende Regeln würden mit einer Abschaffung der Ehe ebenfalls wegfallen: die Witwenrente oder der Vermögensausgleich bei Scheidung. Auch ist denkbar, dass sich noch mehr Frauen als alleinerziehende Mütter wiederfinden würden, weil die kulturelle Praxis die Männer gar nicht mehr in den Hafen der Ehe lotst. Die pauschale Forderung nach einer Abschaffung der Ehe klingt insgesamt eher nach einem Schnellschuss.

Für eine Reform der Ehe

Dennoch bedarf die Ehe der Reform. Häusliche Gewalt ist so drastisch, dass ihre Abnahme hier vieles rechtfertigen würde. Vermutlich würde es auch nach einer Reform zu häuslicher Gewalt kommen. Doch mit einer Reform des Ehegatten-Splittings würde es vermutlich vielen Frauen leichter fallen, eine gewalttätige Ehe zu verlassen, und die Gewalt würde insgesamt abnehmen.

Denn wenn die Ehe nicht mehr dem Modell der Versorger-Ehe folgt, hätten Frauen einen größeren Anreiz, erwerbstätig zu bleiben, und weniger Frauen wären so deutlich von einem Partner abhängig, der seine Macht ihr gegenüber missbraucht. Mit den Mehr-Einnahmen des Staates ließe sich dann z.B. die Kinderbetreuung oder das Pflegewesen verbessern. Das würde auch das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in der Care-Arbeit verringern, und das Risiko der weiblichen Altersarmut würde abnehmen.