ÖRK-Generalsekretär fordert mehr Klimagerechtigkeit

© epd/Thomas Lohnes
Der Südafrikaner Jerry Pillay hat am Neujahrstag sein Amt als neuer Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen angetreten.
Interview mit Jerry Pillay
ÖRK-Generalsekretär fordert mehr Klimagerechtigkeit
Der neue Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Jerry Pillay, hat dazu aufgerufen, Lasten und Chancen des Klimawandels gerechter zu verteilen. "Klimagerechtigkeit ist eines der Schlüsselthemen für uns", sagte der 1965 in Südafrika geborene reformierte Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Kirchen könnten eine dynamische Rolle bei der positiven Gestaltung der Zukunft spielen, sagte Pillay, der seit dem 1. Januar an der Spitze des ÖRK steht.

epd: Sie sind seit wenigen Wochen im Amt. Welche Schwerpunkte will der Weltkirchenrat in Zukunft setzen?

Jerry Pillay: Klimagerechtigkeit war ein Schwerpunkt auf der 11. Vollversammlung des Weltkirchenrates in Karlsruhe. Das Thema wird auch eine essenzielle Rolle in der weiteren Arbeit des ÖRK spielen. Klimagerechtigkeit ist eines der Schlüsselthemen für uns. Dazu kommen die Themen Wasserkrise sowie der globale Umgang mit Krankheiten und mit Armut. Wir werden uns auch weiter den Themen Versöhnung und Einheit widmen. Dies alles soll einfließen in unseren Pilgerweg von Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit.

Können die Kirchen der Welt ihre Regierungen in Fragen wie Klimawandel oder soziale Gerechtigkeit überhaupt beeinflussen?

Pillay: Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Ich glaube, dass die meisten Regierungen sich in diesen Fragen Rat und Hilfe von den Kirchen und Glaubensgemeinschaften holen. In jedem Land, an das ich denken kann, haben Kirchen Einfluss auf ihre Regierung. Manchmal wird das von den Regierungen und auch von den Medien heruntergespielt. Aber Kirchen waren immer eine aktive Stimme, Kirchen haben immer einen Unterschied gemacht, vor allem wenn es um Fragen der Gerechtigkeit ging. Die Kirchen können eine dynamische Rolle bei der positiven Gestaltung der Zukunft spielen. Sie haben zwar auch ihre eigenen Probleme, sie sind nicht perfekt. Aber in ihrer Gesamtheit können sie die Welt zum Guten hin verändern.

"In jedem Land, an das ich denken kann, haben Kirchen Einfluss auf ihre Regierung."

Wie gut sind die Beziehungen des Weltkirchenrates zur römisch-katholischen Kirche?

Pillay: Zurzeit gibt es eine hervorragende Zusammenarbeit zwischen der römisch-katholischen Kirche und dem ÖRK. Wir haben einen guten Dialog. Die römisch-katholische Kirche nimmt sehr aktiv an der Arbeit des Weltkirchenrates teil. Die katholischen Partner sind Beobachter, weil sie keine Mitglieder sind, aber sie leisten in verschiedenen Bereichen einen bedeutenden Beitrag.

Könnte man diese Zusammenarbeit ausbauen?

Pillay: Es gibt viele gemeinsame Anstrengungen, um zusammen zu beten und zusammen an den globalen öffentlichen Themen zu arbeiten. Ich hoffe und bin zuversichtlich, dass die Partnerschaft zwischen der römisch-katholischen Kirche und dem Weltkirchenrat noch tiefer und sichtbarer wird, zum Wohl der gesamten Welt.

Der ÖRK musste sich wiederholt gegen den Vorwurf des Antisemitismus verteidigen. Unter anderem wurde dem Rat vorgeworfen, die Schuld für den Nahostkonflikt einseitig den Israelis zuzuschieben. Was sagen Sie dazu?

Pillay: Um eines klarzumachen: Der Weltkirchenrat war niemals antisemitisch und wird es niemals sein. Einige Menschen benutzen das Wort, um den Weltkirchenrat zu etikettieren. Der ÖRK wollte in der Israel-Palästina-Frage nie eine politische Seite einnehmen. Wir stehen vielmehr auf der Seite der Gerechtigkeit. Wir bezeichnen es als fragwürdig, wenn die Rechte von Menschen verletzt werden. Das ist nicht antisemitisch, das ist eine Frage der Gerechtigkeit. Deshalb hat sich der ÖRK lautstark für die Palästinenser eingesetzt und wird dies auch weiterhin tun.

"Wir bezeichnen es als fragwürdig, wenn die Rechte von Menschen verletzt werden. Das ist nicht antisemitisch, das ist eine Frage der Gerechtigkeit."

Die jüdische Organisation B'nai B'rith hat entsprechende Vorwürfe auch gegen Ihre Person erhoben. Wie stehen Sie dazu?

Pillay: Ich habe im Jahr 2016 einen Artikel über Apartheid im Heiligen Land geschrieben, der aus einer persönlichen Erfahrung heraus entstanden ist. Ich hatte mit einigen südafrikanischen Kirchenleitern Israel und Palästina besucht. Wir wollten verstehen, was in der Region passiert. Wir kamen sowohl mit Israelis als auch mit Palästinensern in Kontakt, wir sprachen mit Rabbinern ebenso wie mit palästinensischen Pfarrern. In letzter Zeit wurde ich angegriffen, dass ich in diesem Zusammenhang das Wort Apartheid verwendet habe. Ich habe die früheren Ungerechtigkeiten in Südafrika mit den Ungerechtigkeiten verglichen, die ich persönlich im israelisch-palästinensischen Kontext sehe. Aber den Weltkirchenrat und mich als antisemitisch zu bezeichnen oder zu sagen, dass ich eine antijüdische Einstellung habe, ist ein völliges Missverständnis, eine Entstellung von Fakten.

Was ist Ihre Sicht heute? Würden Sie sagen, die Situation im Nahen Osten ist schlimmer geworden? Gibt es tatsächlich Apartheid in Israel?

Pillay: Viele sagen, das Wort Apartheid ist keine hilfreiche Umschreibung. Und ich respektiere das. Aber meiner Ansicht nach gibt es nach wie vor keine Gerechtigkeit für alle Menschen in Israel. Der Fokus darf nicht auf den Begriff Apartheid gerichtet werden, das ist missverständlich. Der Fokus muss sich immer auf das Thema Gerechtigkeit richten. Wenn die Ungerechtigkeit anhält, müssen sich Christen fragen, was sie dagegen unternehmen können.
Israel isoliert sich mit der politischen Position der neuen Regierung gerade selbst. Das fördert nicht die Sache von Gerechtigkeit und Frieden im Nahen Osten. Ich bin so froh, dass viele unserer jüdischen Freunde sich heute gegen die Situation in ihrem Land auflehnen und ihrer eigenen Regierung sagen: Genug ist genug! Selbst israelische Botschafter in verschiedenen Ländern finden es inzwischen schwierig, Israels Politik in diesen Tagen zu verteidigen.
Ich habe aber zurzeit die Hoffnung, dass ein Wendepunkt erreicht ist, dass eben auch viele Israelis sich gegen die Politik ihrer Regierung auflehnen und sich für mehr Gerechtigkeit im Land einsetzen. Ich möchte hier betonen: Der jüdische Glaube ist nicht dafür verantwortlich, wenn Leute in Israel verfolgt werden. Wir müssen zwischen den Politikern und den religiösen Führern unterscheiden.