Radwegekirchen laden zu Rast und Besinnung ein

Radwegekirchen laden zu Rast und Besinnung ein
Die Kirche holt die Menschen dort ab, wo sie sind - und sei es auf dem Fahrradsattel. Rund 30 Radwegekirchen gibt es mittlerweile in Deutschland. Tendenz: steigend.
07.05.2010
Von Sören Hendrik Maak

Eine Reiseapotheke mit Magnesiumtabletten für krampfende Waden gehört genauso zur Ausstattung der Marienkirche im südniedersächsischen Hannoversch Münden wie der Abendmahlskelch. Vor zwei Jahren wurde der tausend Jahre alte Gotikbau zur ersten Radwegekirche am Weserradweg erklärt. Diesen Titel behält die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Gotteshäusern in unmittelbarer Nähe zu Radfernwegen vor, die gut ausgeschildert sind und ihre Besucher zur Besinnung einladen.

"Die Bewegung ist noch jung, ich schätze die Anzahl von Radwegekirchen bundesweit auf 30", sagt der Leiter des Arbeitszweigs Kirche und Tourismus in der hannoverschen Landeskirche, Klaus Stemmann. "Radwegekirchen sind die kleinen Töchter der offenen Kirchen", beschreibt der Diakon den neuen kirchlichen Trend. Vor zehn Jahren hätten die ersten Gemeinden ihre Kirchen fast ganzjährig und ganztägig für Besucher geöffnet. Allein in Niedersachsen garantieren inzwischen mehr als 350 evangelische Gemeinden mit blauen Schildern feste Öffnungszeiten.

Schwerpunkt entlang der Elbe

Das grüne Signet der Radwegekirchen ist dagegen noch rar. Den Schwerpunkt sieht Stemmann entlang des Elberadwegs. Der deutsche Teil des 1.220 Kilometer langen Radfernwegs werde von zwei Dutzend Radwegekirchen gesäumt. Bis Ende 2011 könnte sich ihre Zahl verdoppeln, vermutet Stemmann. Er kann sich vorstellen, dass das Netz bald ähnlich dicht ist wie das der Autobahnkirchen.

Ihren Anfang nahm die Bewegung vor neun Jahren in Thüringen. "Unsere Johanniskirche in Reinhardsbrunn nahe dem Rennsteig wurde 2001 die erste Radwegekirche Deutschlands", berichtet Pfarrer Christfried Boelter. Mittlerweile gebe es in Thüringen elf Radwegekirchen. Anfangs hätten sich die Kirchen noch Radwanderkirchen und Radfahrerkirchen genannt. Durch die Kriterien der EKD werde das Netzwerk nun aber vereinheitlicht.

Pflaster und Flickzeug

Nicht jede Kirche bietet ihren Besuchern aber den umfassenden Service der Mündener Marienkirche. Pflaster für blutende Wunden ist genauso selbstverständlich wie Flickzeug für die platten Fahrradschläuche. Im Hof dürfen die Reisenden ihre Flaschen mit Trinkwasser aus dem kircheneigenen Brunnen auffüllen. Wer auch spirituell auftanken möchte, kann sich auf den Besinnungsweg durch den Kirchengarten machen.

Auf kleinen Schildern in den Blumenbeeten verstecken sich aufmunternde Botschaften wie der Satz "Glauben empfangen wir von Gott immer nur so viel, wie wir für den gegenwärtigen Tag brauchen" aus einem Gefängnisbrief Dietrich Bonhoeffers. "Unsere Kirche ist ein Kraftort, an dem man ausspannen, Ruhe finden und die Sonne genießen kann", erzählt Kirchenvorsteherin Elisabeth Hahn. Diesen Schatz will die Gemeinde, die die Radfahrersaison an diesem Sonntag mit einem Gottesdienst eröffnet, mit anderen Menschen teilen.

"Wir finden die Idee super"

Für den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) sind diese Kirchen eine positive Begleiterscheinung des erstarkenden Radtourismus. "Wir finden die Idee super", sagt Pressesprecherin Bettina Cibulski. Sportliche, kulturelle und gastronomische Angebote gebe es für Radurlauber schon. Jetzt werde zunehmend auch die spirituelle Lücke geschlossen: "Wenn Radler unterwegs einen Gottesdienst besuchen möchten, können sie dies in einer viel schöneren Umgebung tun als Autofahrer, die mit grauen Autobahnkirchen vorliebnehmen müssen."

epd