Menschenrechtler fordern EU-Mission in Kirgisistan

Menschenrechtler fordern EU-Mission in Kirgisistan
Verhärtete Fronten in Kirgisistan: Auch eine Woche nach dem Blutbad mit mehr als 80 Toten kommen die Menschen in dem zentralasiatischen Land nicht zur Ruhe. Bei vielen geht die Angst vor einem Bürgerkrieg um. Die Lage ist nach dem Sturz des autoritären Präsidenten Kurmanbek Bakijew gespannt. Der 60-Jährige hat sich in seinem Dorf im Süden verschanzt, beschützt von schwer bewaffneten Anhängern. In der Hauptstadt Bischkek im Norden fordert die vorläufige Regierungschefin Rosa Otunbajewa Bakijew zum Aufgeben auf.
14.04.2010
Von Ulf Mauder

Weil bei einer Festnahme Bakijews ein neues Blutbad droht, sollen nun auch internationale Vermittler helfen, einen Ausweg zu finden. Wegen der vielen Toten und mehr als 1600 Verletzten lasse das Volk nicht zu, dass Bakijew und seine Familie straffrei blieben, betont Otunbajewa. Bakijew und sein Bruder Schanysch, der zuletzt das Militär führte, stehen im Verdacht, Scharfschützen gegen das eigene Volk eingesetzt zu haben. Auf Dächern postierte Eliteeinheiten sollen am Mittwoch vor einer Woche demonstrierende Regierungsgegner mit gezielten Kopfschüssen niedergestreckt haben. Auch deshalb entzog die neue Führung Bakijew zuletzt die Immunität.

Erstmals wieder ein Gefühl von Freiheit

Nach einer Woche unter Otunbajewas Führung ist bei vielen Kirgisen allerdings Ernüchterung eingetreten. Auf den Straßen Bischkeks, in den Tagebüchern im Internet und am Telefon sagen viele immer wieder dies zur Stimmung im Land: "Keiner will Bakijew zurück, aber keiner glaubt so recht daran, dass es mit der neuen Führung besser wird." Es häufen sich Klagen, die neue Führung verteile lieber Posten, als die Lage der Bevölkerung zu bessern. Erste Interimsminister schlagen schon öffentlich Familienmitglieder für Ämter vor.

Allerdings loben viele auch, dass es erstmals wieder ein Gefühl von Freiheit gebe wie zuletzt nach der sogenannten Tulpenrevolution von 2005. Medien berichten von Arbeit ohne den Druck, wie ihn zuletzt Bakijews Geheimdienst aufgebaut hatte. Nicht zuletzt der für die autoritären Strukturen im Land verantwortliche Bakijew, der Kontakte zu unabhängigen Journalisten stets scheute, ruft nun westliche Medien täglich als Sprachrohr an.

"Ich war immer mit dem Volk", beteuert Bakijew in seinen Interviews und Auftritten in seinem Dorf. Der Mann, dem kriminelle Vetternwirtschaft, Wahlfälschung, Unterdrückung der Opposition, Folter und sogar politische Morde vorgeworfen werden, sieht sich als Opfer. Seine Gegner hatten ihn immer wieder davor gewarnt, das Land auf Druck seiner Familie zu einer Militärdiktatur zu machen. Die von extremer Armut gebeutelten Kirgisen hatten schließlich ihrer Wut mit Massenprotesten Luft gemacht - die in ein Blutbad mündeten.

Bakijew fordert unbhängiges UN- oder EU-Gremium

"Ich fürchte keine Untersuchung der Vorgänge durch eine internationale Kommission", sagt Bakijew in Dschalal-Abad. Ein solches Gremium zum Beispiel unter dem Dach der EU oder der Vereinten Nationen schlägt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) vor. "Eine Untersuchung durch unabhängige Beobachter kann ein wichtiger Baustein für den Frieden in der Region sein", sagt die HRW-Zentralasienexpertin Andrea Berg der Nachrichtenagentur dpa. Der kirgisische Politologe Mars Sarijew betont, dass die neue Führung maximal zwei Wochen habe, um Ordnung im Land zu schaffen.

"Wenn die Menschen den Eindruck haben, dass die vielen Toten umsonst waren, werden sie sich neue Führer suchen", sagt Sarijew. Deshalb müsse schnell auch eine Lösung für Bakijew gefunden werden. Die Unruhe in der Region sei jedenfalls groß.

Während sich der autoritäre Nachbar Kasachstan, das derzeit als Vorsitzender in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auch Friedensstifter sein könnte, ruhig verhält, schottet sich der andere Nachbar, die Diktatur Usbekistan, komplett ab - aus Furcht vor einem Übergreifen der Revolution. Die instabile Lage in Zentralasien veranlasste Kremlchef Dmitri Medwedew am Rande seines US-Besuchs nun nicht nur zur Warnung vor einem Bürgerkrieg. Wegen der starken Terrornetzwerke in der Region drohe im Fall einer Eskalation sogar ein zweites Afghanistan, sagte Medwedew.

dpa