Erschütternde Details im Missbrauchsskandal

Erschütternde Details im Missbrauchsskandal
Brutale Quälereien, sexuelle Übergriffe und eine Kultur des Wegschauens: Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche in Deutschland nimmt immer größere Dimensionen an. Kinder in Schule und Internat des bayerischen Klosters Ettal waren jahrelang teils sadistischer körperlicher Züchtigung und sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Das hat der von der Benediktiner-Abtei eingesetzte Sonderermittler Thomas Pfister am Freitag in Ettal in einem erschütternden Bericht geschildert.

Im Skandal um sexuellen Missbrauch bei den Regensburger Domspatzen ging es um zwei frühere leitende Geistliche des Knabenchors. Der Vatikan nimmt den Skandal «sehr ernst». Das versicherte der stellvertretende Vatikan-Sprecher Ciro Benedettini in Rom.

Zu dem Kindesmissbrauch bei den Regensburger Domspatzen sagte Benedettini, der Vatikan wolle in diesen Fall nicht direkt eingreifen. Er machte nicht klar, ob der Vatikan der Bitte des Benediktinerklosters Ettal um eine Apostolische Visitation - eine Untersuchung durch einen päpstlichen Sonderbeauftragten - nachkommen werde. Benedikt XVI. erhält am 12. März vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, einen Bericht über die Welle von Missbrauchsfällen. Die Deutsche Bischofskonferenz wollte sich am Freitag nicht zu den aktuellen Entwicklungen äußern.

Vorwürfe gegen mindestens 10 Ettaler Patres

Im Kloster Ettal richten sich die Vorwürfe gegen mindestens 10 Patres, man müsse von rund 100 Opfern ausgehen, sagte Sonderermittler Pfister. Unabhängig von den internen Untersuchungen laufen strafrechtliche Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft. Im aktuellen Fall geht es um einen suspendierten Ettaler Pater, der Fotos von halbnackten Klosterschülern auf Homosexuellen-Seiten im Internet veröffentlicht haben soll. Der Pater habe die Fotos der Jungen mit freiem Oberkörper bei Bergwanderungen gemacht.

Die Ettaler Vorgänge in vergangenen Jahrzehnten seien verjährt, sagte Pfister. Wenn sie aber von weltlichen Gerichten verhandelt worden wären, hätten sie wahrscheinlich zu jahrelangen Haftstrafen geführt. Eine systematische «Kultur des Wegschauens» und Verschweigens habe den Tätern ihr Treiben erleichtert. Es habe sich bei den Vorfällen um Verfehlungen Einzelner gehandelt, man dürfe sich die Benediktiner-Abtei deshalb nicht als Gemeinschaft prügelnder und missbrauchender Klosterbrüder vorstellen, sagte der Sonderermittler.

Pfister zitierte aus mehreren Schreiben, in denen frühere Schüler von ihren traumatisierenden Erfahrungen berichteten. Möglicherweise wurde auch ein Pater missbraucht. Er sei mit einem früheren Ettaler Pater im Gespräch, der sich an ihn gewandt habe, berichtete Pfister.

Ex-Domspatz: Prügel noch und noch

"Schwere körperliche Misshandlungen, schwere seelische Misshandlungen, sexuelle Übergriffe" - das alles hat es nach Auskunft eines ehemaligen Schülers Mitte der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre bei den Regensburger Domspatzen gegeben. Besonders brutal soll der Leiter der früheren Domspatzen-Vorschule in Etterzhausen bei Regensburg zugeschlagen haben, sagte ein Ex-Domspatz, der namentlich nicht genannt werden will. "Der Direktor dort war ein ausgewiesener Sadist, der geprügelt hat noch und noch", berichtete der heutige Arzt. Manche Kinder hätten vor Angst in die Hose gemacht. "Das hatte zur Folge, dass noch stärkere Prügelstrafen erfolgten."

Im Skandal um sexuellen Missbrauch bei den Regensburger Domspatzen geht es um zwei frühere leitende Geistliche des Knabenchors. Der eine, ein ehemaliger Religionslehrer und stellvertretender Institutsleiter, wurde 1958 aus dem Dienst am Domspatzen-Gymnasium entfernt. Der andere Geistliche war wenige Monate auch Internatsleiter, er soll 1971 verurteilt worden sein. Die beiden Männer starben 1984, berichtete der Sprecher des Bistums Regensburg, Clemens Neck. Aktuelle Fälle lägen der Diözese Regensburg nicht vor, hieß es. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass es weitere Täter gebe und diese noch im Dienst seien.

Der frühere Leiter der Regensburger Domspatzen, Georg Ratzinger (86), hat keine Kenntnis über Missbrauchsfälle bei dem weltberühmten Knabenchor. Das sagte der Bruder von Papst Benedikt XVI. dem Bayerischen Rundfunk. Georg Ratzinger leitete die Domspatzen von 1964 bis 1994.

Weiterer Missbrauchsfall der Kirche in Hessen

In Hessen wurde am Freitag ein weiterer Verdachtsfall von sexuellem Missbrauch bekannt. 1976 seien nach Angaben eines Opfers mehrere Schüler im damaligen Heim der Stiftsschule Amöneburg von einem pädagogischen Laienmitarbeiter missbraucht worden, teilte das Bistum Fulda mit. Zuvor hatte das Bistum Fulda mitgeteilt, dass es zwei Verdachtsfälle gebe. Im Bistum Limburg werden fünf Priester des sexuellen Missbrauchs beschuldigt.

Einer der drei im Kloster Wechselburg (Sachsen) suspendierten Pater hat sich dazu bekannt, vor mehr als 30 Jahren einen Schüler unangemessen körperlich gezüchtigt zu haben. «Zu dieser Anschuldigung muss und möchte ich stehen und mein Bedauern bekennen», teilte der 70 Jahre alte, frühere Internatsdirektor am oberbayerischen Kloster Ettal mit.

Ehemaliger Domspatz: Papst soll helfen

Der ehemalige Domspatz und Buchautor Karl Birkenseer hofft im Missbrauchsskandal auf päpstlichen Beistand. "Ich glaube, gerade dieser Papst hat eine große Kompetenz bei der Lösung dieser Frage und ich hoffe sehr, dass er diese Kompetenz dann auch gegenüber der deutschen katholischen Kirche einsetzt", sagte Birkenseer, der Ende der 60er Jahre Mitglied des weltberühmten Knabenchors war, dem Audio- Dienst der dpa. Benedikt XVI. sei auch deshalb zum Papst gewählt worden, weil er bei der Aufklärung von sexuellen Missbrauchsfällen in den USA eine sehr gute Rolle gespielt habe, sagte Birkenseer.

dpa