"Religionsfreiheit ist ein fundamentales Recht"

"Religionsfreiheit ist ein fundamentales Recht"
EKD-Auslandsbischof Martin Schindehütte macht auf die Situation der bedrängten und verfolgten Christen in aller Welt aufmerksam und ermahnt die Religionen zu mehr Respekt voreinander.
24.02.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Herr Bischof, das Christentum ist eine weltumspannende Religion. Dass Gläubige verfolgt werden, ist bei uns im Westen nicht immer im Blick gewesen. Woran lag das?

Schindehütte: Die Globalisierung, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen weiteren Blick auf Informationen ermöglichte, hat uns sehr viel aufmerksamer gemacht auf problematische Situationen von religiös orientierten Menschen, darunter auch Christen. Das schafft neue Möglichkeiten, öffentlich zu intervenieren – diese Chance haben wir in den vergangenen Jahren genutzt.

Fundamentalisierung der Kultur

evangelisch.de: Haben die Terroranschläge vom 11. September etwas damit zu tun?

Schindehütte: Sehr indirekt. Der 11. September ist der Hinweis auf eine bestimmte Form von Politik, die vor massiver Gewalt nicht zurückschreckt, ein extremes Beispiel für Fundamentalismus, der eine Überzeugung und Gewaltanwendung direkt miteinander verknüpft. Doch wir beobachten in allen Religionen eine Zunahme des Fundamentalismus, also einer Verknüpfung von bestimmten Glaubensüberzeugungen, die so und nicht anders akzeptiert werden müssen, und eine Bereitschaft, dafür Druck auszuüben bis hin zur Gewalt. Das erleben wir nicht nur im Islam, sondern auch im Christentum. In dieser unübersichtlichen Welt gibt es eine Fundamentalisierung bestimmter Teile der Kultur. Das macht mir große Sorgen. In diesen großen Zusammenhang gehört die Bedrängung und Verfolgung von Christen.

evangelisch.de: Das Problem lässt sich also nicht auf den islamischen Fundamentalismus begrenzen.

Schindehütte: Ganz sicher nicht. Weil der Islam nicht durch die Aufklärung gegangen ist wie das Christentum in Mitteleuropa, macht er diese Fundamentalisierung in einer besonderer Weise durch. Aber das erleben wir in christlichen Kontexten auch. Ich war vor kurzem in Indonesien und habe dort Berichte erhalten, dass Kirchen niedergebrannt wurden – beim Versuch, sie zu schützen, waren übrigens auch Muslime beteiligt. Auf der anderen Seite gibt es Berichte, dass Christen muslimische Menschen bedroht und versucht haben, Moscheen zu zerstören. Das hat etwas mit der Migrationspolitik in Indonesien zu tun.

Die Religion wird auch benutzt

evangelisch.de: Sind es gelegentlich auch ethnische Spannungen, die unter dem Deckmantel des Religionskonflikts ausgetragen werden?

Schindehütte: Ganz offenkundig. Religion wird nicht selten benutzt – politisch, ethnisch, für die Wahrung bestimmter Kulturen. Vieles von dem, was wir im muslimischen Fundamentalismus haben, viele Lebensformen, die man dem Islam zuschreibt, sind der jeweiligen Kultur geschuldet und wurzeln darin. Es gibt die Benutzung von Religion, um eine Sache besonders aufzuladen. Das macht es gefährlich, weil man Menschen damit auf eine besonders existenzielle Weise benutzt.

evangelisch.de: Vor einigen Monaten hat eine hochrangige EKD-Delegation Nordkorea besucht. Auch in diesem nicht besonders religiösen Land sind die Christen in einer schwierigen Situation.

Schindehütte: Das Land ist durchaus religiös, aber auf eine politische Art. Wenn man in Pjöngjang steht, sich das riesige Denkmal anschaut und hört, wie vom "großen Führer" Kim Il Sung und nun seinem Sohn Kim Jong Il gesprochen wird, sieht man, dass es dort eine Staatsreligion gibt. Damit erklärt sich schon, dass die Situation der Christen besonders schwierig ist. Es gibt zwei Ansprüche: den des Staates, der seinen "Führer" vergöttlicht, und dem des Christentums, das den Satz aus der Apostelgeschichte kennt: Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apg 5,29).

Begriff "Christenverfolgung" ist zu eng

evangelisch.de: Lässt sich zwischen bedrängten und verfolgten Christen unterscheiden?

Schindehütte: Wir reden nicht nur von Christenverfolgung, denn der Begriff ist zu eng. Er bezieht sich auf die, die unmittelbar und direkt an Leib und Leben bedroht sind. Wir sprechen auch von bedrängten Christen – ihnen wird in ihrer Gesellschaft und Kultur die Zukunft genommen. Sie werden nicht unmittelbar bedroht, aber gerade die jungen Leute unter ihnen spüren, dass sie mit ihrem christlichen Glauben dort keine Zukunft haben. Dann ziehen sie schlicht und einfach weg, folgen ihren Verwandten, die schon in den USA, Europa oder sonstwo sind. Das führt dazu, dass in vielen Ländern der Anteil der Christen rapide sinkt - nicht durch aktive und direkte Verfolgung, sondern durch diesen Verlust an Zukunft. In der Türkei etwa war vor 100 Jahren noch ein Viertel der Bevölkerung Christen, heute sind es noch 0,2 Prozent. Im Irak hat sich die Zahl der Christen durch den Krieg halbiert – von 1,2 Millionen auf 600.000. Im Exekutivkomitee des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) gab es gerade in diesen Tagen noch einmal zu Recht ein Plädoyer dafür, genau auf die Lage der Christen im Nahen und Mittleren Osten zu schauen. Wenn das so weitergehe, formulierte ein Mitglied, könne man Christentum in der Region bald nur noch im Museum sehen.

evangelisch.de: Genau diese Problematik will der Tag der bedrängten und verfolgten Christen aufgreifen. Welches Ziel hat die Initiative?

Schindehütte: Sie will zunächst, um mit dem Apostel Paulus zu sprechen, auf "des Glaubens Genossen" (Gal 6,10) aufmerksam zu machen - also auf diejenigen, die als Christen wegen ihres Glaubens leiden. Wichtig ist aber auch, deutlich zu machen, dass wir mit dem Tag auf die Lage aller Menschen, die die Religionsfreiheit nicht genießen können, aufmerksam machen wollen. Es geht also nicht nur um Christen, sondern darum, für die Religionsfreiheit insgesamt einzutreten und dieses fundamentale Menschenrecht ins Bewusstsein zu rücken. Es hat keinen Sinn, wenn wir als Christen nur für Christen eintreten und nicht auch für Menschen anderer Religion, die ebenfalls bedrängt und verfolgt werden. Sichtbar zu machen, was für ein fundamentales Menschenrecht die Religionsfreiheit ist, ist das zentrale Ziel dieses Tages, den wir jetzt regelmäßig begehen wollen.

Ein illegitimer Vergleich

evangelisch.de: Nicht selten wird in der Öffentlichkeit der Vergleich gezogen zwischen dem Moscheebau in Deutschland (im Bild die Al-Nur-Moschee in Frankfurt am Main) und dem Kirchbau in islamischen Ländern. Ist das legitim?

Schindehütte: Ich halte das für keinen legitimen Vergleich. Das hieße ja, dass man das Menschenrecht auf Religionsfreiheit zu einer Ware macht, zu einem Basar: Wenn ich deine Moscheen erlaube, erlaubst du mir meine Kirchen. So kann es nicht sein. Die Menschenrechte gelten unbedingt, also auch die Religionsfreiheit. Wenn sie an einer Seite verletzt wird, kann man das an der anderen Seite nicht zum Legitimationsgrund nehmen, sie ebenfalls zu verletzen. Unsere Politik muss es sein, hier den Moscheebau zu unterstützen im Rahmen der Gesetze - mit all den Konflikten, die das gibt. Das haben die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland getan. Sie haben sich dafür eingesetzt, dass Moscheen gebaut werden können, aber das nicht direkt verknüpft mit der Bedingung, dass man dann in der Türkei auch Kirchen bauen muss. Gleichwohl treten wir entschieden dafür ein, dass die Christen etwa in der Türkei endlich wieder frei atmen und sich entwickeln können. Das orthodoxe Priesterseminar auf Chalki ist immer noch geschlossen. Das ist ein Skandal und für ein Land, das in die EU will, überhaupt nicht akzeptabel. Die Türkei muss deutlich machen, dass sie das Grundrecht auf Religionsfreiheit würdigt. Sie sollte das Priesterseminar endlich öffnen, damit die orthodoxe Kirche Priester ausbilden und ihre Zukunft sichern kann.

evangelisch.de: Was kann jeder einzelne Christ tun, um die Religionsfreiheit zu stärken und seinen Glaubensgeschwistern zu helfen?

Schindehütte: Wir sollten die Religionsfreiheit selbst leben – negativ wie positiv. Negativ bedeutet, dass man es akzeptiert, dass Menschen anderer religiöser Prägung neben uns leben und ihren Glauben öffentlich machen wollen. Positiv bedeutet, dass wir unseren eigenen Glauben öffentlich leben und zeigen, dass wir tolerant miteinander umgehen, dass wir einander respektieren und herausfinden, wo wir eine gemeinsame Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung haben. Zum anderen: Eine meiner wichtigen Aufgaben als EKD-Auslandsbischof ist es, überall da, wo ich von Verletzungen des Menschenrechts und der Religionsfreiheit, von Bedrängung und Verfolgung von Christen und anderen religiösen Menschen höre, Einspruch zu erheben und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln. Jeder einzelne sollte also seinen Glauben öffentlich leben und sich vielleicht sogar mitfreuen, dass andere ihren Glauben und ihre religiöse Prägung ebenfalls öffentlich leben können.


Martin Schindehütte (69) ist Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und leitet dort die Hauptabteilung "Ökumene und Auslandsarbeit". Der aus Hessen stammende Geistliche gehört dem Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) an.