Hiddensee entdeckt die Entschleunigung im Eis

Hiddensee entdeckt die Entschleunigung im Eis
Die Insel Hiddensee liegt eingeschlossen im Eis der Ostsee. Marine-Hubschrauber haben die Versorgung der Insel übernommen, aber die Insulaner sehen ihre Notlage gelassen. Schließlich ist die Insel gerade im Winter schön - und mit gegenseitiger Hilfe bewältigen sie auch die größten Schneewehen.
03.02.2010
Von Hanno Terbuyken

Eingeschlossen im Eis der Ostsee liegt die Insel Hiddensee vor der nordostdeutschen Küste. Der Winter hält die rund tausend Einwohner fest im Griff, so sehr, dass im Ort Vitte schon die frischen Lebensmittel knapp wurden, nur noch Konserven waren übrig. Am Dienstag brachte ein Hubschrauber Paletten mit Möhren, Tomaten, Kartoffeln, frischer Milch, Brot und Eiern auf die Insel und holte einen Teil der Touristen von der Insel, aber auch nur für kurze Zeit: "Um drei Uhr gab es einen Schneesturm, das wurde wieder eingestellt", berichtet Konrad Glöckner. Er ist der evangelische Pfarrer der Insel, seine Kirche ist das sechshundert Jahre alte Kloster Hiddensee.

"Hiddensee verwandelt... Lärm in Stille. Hektik in Ruhe und Gelassenheit" heißt es auf einer Tourismus-Webseite über Hiddensee. Das galt nie so sehr wie jetzt. Denn der Schnee stoppt den Alltag: "Es gibt einfach Dinge, die erreichen einen nicht", berichtet Pfarrer Glöckner, die Post zum Beispiel. "Wenn man drei, vier Tage lang keine Post im Pfarramt bekommt, entschleunigt sich das Leben schon." Denn auf Hiddensee gibt es nicht überall befestigte Wege. Der Ort Neuendorf im südlichen Teil der Insel ist bekannt dafür, dass die Häuser der Bewohner einfach in der Landschaft stehen. Dort helfen sich die Insulaner gegenseitig, den Schnee zu bewältigen: "Neuendorf schaufelt sich seine Wege frei", sagt Pfarrer Glöckner und erzählt von dem großen Gemeinschaftssinn der Insulaner. Man hilft sich eben, wenn der Winter kommt.

Eisbrecher hat sich an Hiddensee verausgabt

Aber nicht für jeden ist die eingeschneite Insel ein idyllisches Plätzchen. Noch am Dienstag konnte nur ein Teil der etwa 100 Touristen die Insel per Hubschrauber verlassen. Der Hotelier Olaf Thürke berichtete, das Heizöl auf der Insel drohe knapp zu werden, und Bürgermeister Manfred Gau forderte das Wasser- und Schifffahrtsamt auf, endlich eine Fahrrinne durch das Eis zu brechen. Bürgermeister Gau hatte seine Hoffnungen auf den Tonnenleger "Ranzow" gesetzt, 1100 PS stark, eisbrechend. Aber auch die "Ranzow" kam nicht durch: In der nördlichen Meerenge zwischen Rügen und Hiddensee war das Eis so zusammengedrängt, dass der Eisbrecher sich keinen Weg bahnen konnte.

"Wir haben alle Möglichkeiten ausgeschöpft", sagte Karl-Albert Stüwe vom zuständigen Wasser- und Schifffahrtsamt in Stralsund. Denn auch die "Arkona", Deutschlands zweitgrößter Eisbrecher, kann nicht eingesetzt werden. Mit einem Tiefgang von vier Metern könne der Riese die flachen Boddengewässer vor Hiddensee nicht befahren, sagte Stüwe. Inzwischen liegt die "Ranzow" mit einem Schaden an der Ruderanlage in der Werft. Ursache sei die Belastung der vergangenen Tage, teilte das Wasser- und Schifffahrtsamt mit.

Marine versorgt die Insel aus der Luft

"Es ist Verunsicherung da. Die Leute wollen wissen, wie es weitergeht", sagt Pfarrer Glöckner. Seine Kirchenveranstaltungen bleiben leer, seit das Eis die Insel umschließt – die Leute haben andere Sorgen, und die Wege zur Kirche sind beschwerlich, seit der Schnee ganz Hiddensee mit einer weißen Decke eingehüllt hat. Bis zu zwei Meter sind die Schneewehen hoch – ein malerischer Anblick, aber auch ein großes Hindernis. Inzwischen hat die Bundesmarine mit Hubschraubern den Transport von Nahrungsmitteln, Medikamenten und die Ausreise der feststeckenden Touristen übernommen.

Zwei Transporthubschrauber der Marine seien auf dem Weg nach Hiddensee und Rügen, teilte Udo Martens vom Bundeswehr-Landeskommando Mecklenburg-Vorpommern am Mittwoch mit. Mit dem einen Hubschrauber sollen Lebensmittel und Medikamente auf die Insel gebracht werden. Der andere übernimmt den Transport der rund 70 Urlaubern, die seit vergangener Woche auf Hiddensee festsitzen. Der Einsatz soll nach Angaben des Leiters Katastrophenschutz des Landkreises Rügen, Karsten Lange, möglichst am Mittwochabend abgeschlossen sein: "Wir wollen so viele Lebensmittel rüberschaffen, dass das Wochenende abgesichert ist."

"Soweit alles normal"

Die Hiddenseer arrangieren sich derweil mit dem Winter. "Man stellt sich mental anders ein", sagt Pfarrer Glöckner, "die Insel ist sich selbst überlassen." Insulaner, die eigentlich in die Ferien wollten, bleiben einfach da. Schließlich sei die Insel so verschneit auch schön. Und wer es wirklich nicht mehr auf der Insel aushält, macht sich zu Fuß auf den Weg über das Ostsee-Eis. "Die Fischer haben Pricken ins Eis geschlagen", berichtet Pfarrer Glöckner, damit man den Weg auch findet. Natürlich kann niemand den riskanten Fußweg offiziell empfehlen, und jetzt, wo die Marinehubschrauber die Insel versorgen, ist das auch nicht mehr nötig.

Und auf der Insel ist auch schon wieder ein bisschen Normalität eingekehrt, berichtet Pfarrer Glöckner: "Ich gucke aus dem Fenster und sehe den Bus fahren, davor fährt der Schneepflug. Insofern ist hier alles normal."

mit Material von dpa

 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de, zuständig für die Ressorts Gesellschaft und Wissen, und schreibt das Blog "Angezockt".