Plünderungen: Haitis Regierung ruft Ausnahmezustand aus

Plünderungen: Haitis Regierung ruft Ausnahmezustand aus
Fünf Tage nach dem katastrophalen Erdbeben hat die haitianische Regierung den Ausnahmezustand ausgerufen. Es gibt Berichte über sich ausbreitende Unruhen und sporadische Gewalt.

Nach Regierungsangaben vom Sonntag soll die Maßnahme vorerst bis Ende des Monats aufrechterhalten werden.

Die haitianische Regierung ersuchte inzwischen die USA ausdrücklich, für die Sicherheit in dem Karibikstaat zu sorgen und langfristig beim Wiederaufbau des Landes zu helfen. In einem am Sonntag veröffentlichten Kommuniqué beider Staaten begrüßte der haitianische Präsident René Préval die Anstrengungen der USA als wesentlich für den Wiederaufbau und die Stabilität des Landes. Die Erklärung ist Resultat eines Treffens Prévals mit US-Außenministerin Hillary Clinton am Samstag in Port-au-Prince. 

"Sie schießen auf jeden, Journalisten, Polizisten"


Während in Haiti weiter Hunderttausende Opfer des Jahrhundertbebens zunehmend verzweifelt auf Hilfe warteten, hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Menschen um Geduld gebeten. Am Samstag habe das Welternährungsprogramm (WFP) 40.000 Menschen versorgen können, sagte er bei einem Besuch in der weitgehend verwüsteten Hauptstadt Port-au-Prince. Die Zahl werde innerhalb von zwei Wochen auf eine Million steigen. 14 Tage später würden etwa zwei Millionen Menschen versorgt werden können, sagte Ban am Sonntag in Port-au-Prince nach Angaben der Vereinten Nationen. Unterdessen brachen erste Unruhen in der Stadt aus.

Nach Angaben der Polizei wurde in verschiedenen Teilen der Millionenstadt auf Menschen geschossen. Die Polizei hielt Journalisten davon ab, in die Innenstadt zu gehen. Ein Polizeibeamter sagte einer Reporterin der Deutschen Presse-Agentur dpa: "Sie schießen auf jeden, Journalisten, Polizisten." Bereits zuvor hatte es Berichte über sich ausbreitende Unruhen und sporadische Gewalt gegeben. In den meisten Fällen war der Hintergrund, dass Lebensmittel gestohlen wurden. Auch der für die militärischen Hilfsgüter-Transporte zuständige US-General Ken Keen sagte, dass gewalttätige Auseinandersetzungen die Hilfe für die Erdbebenopfer behindere.

Haitis Krankenhäuser übervoll mit Erdbebenopfern

Fünf Tage nach dem Erdbeben der Stärke 7,0 verbesserte sich langsam die Versorgung mit Trinkwasser, Nahrungsmitteln und medizinischer Hilfe in Port-au-Prince. Über die Zahl der Todesopfer herrschte unterdessen immer noch Unklarheit. Nach Angaben der Regierung wurden bereits 70 000 Tote geborgen. Diese Zahl nannte der haitianische Ministerpräsident Jean-Max Bellerive am Sonntag dem amerikanischen Fernsehsender ABC. Viele Erdbebenopfer seien jedoch von Familienangehörigen beigesetzt worden. Dazu lägen keine Schätzungen vor. Offiziell und inoffiziell wird davon ausgegangen, dass bei dem Beben der Stärke 7,0 am Dienstag bis zu 200.000 Menschen ums Leben gekommen sein könnten.

Nach haitianischen Medienberichten sind auch die Krankenhäuser der Stadt Les Cayes im Südwesten Haitis übervoll mit Erdbebenopfern. In Les Cayes, das selbst nur geringfügig von dem Erdbeben am Dienstag betroffen ist, fehlen bereits Medikamente und es gibt auch nicht genügend Ärzte und Krankenpfleger. Die Krankenhäuser der drittgrößten Stadt des Landes seien fast völlig ausgelastet, hieß es.

Un-Sonderbeautragter Clinton

Am Montag wollte auch der frühere US-Präsident Bill Clinton den bitterarmen Karibikstaat besuchen. Er werde Hilfsgüter abliefern und sich mit den Führungspersönlichkeiten des Landes treffen, wie US-Medien unter Berufung auf Clintons Stiftung berichteten. Demnach will Clinton, der UN-Sonderbeauftragter für Haiti ist, mit Präsident René Préval und Vertretern von Hilfsorganisationen zusammenkommen.

"Als UN-Sonderbeauftragter (...) fühle ich eine tiefgreifende Verpflichtung gegenüber dem Volk von Haiti, das Land zu besuchen und Präsident Préval zu treffen, damit sichergestellt ist, dass unsere Antwort (auf die Erdbebenkatastrophe) weiterhin koordiniert und wirkungsvoll bleibt", hieß es in einer am Sonntag von der Stiftung veröffentlichten Clinton-Erklärung.

Zwar gab es so gut wie keine Hoffnung mehr, noch Überlebende zu finden, aber immer wieder konnten Suchtrupps von kleinen Wundern inmitten des Elends berichten. So wurde ein dänischer UN-Mitarbeiter nach fünf Tagen unter den Trümmern des Hauptquartiers der Vereinten Nationen in Port-au-Prince lebend geborgen. Die britische BBC zeigte Bilder, auf denen der Mann, dessen Name mit Jens Kristensen angegeben wurde, auf einer Trage lag und lächelnd die Arme bewegte.

Westerwelle: Noch 23 Deutsche in Haiti vermisst

Nach dem Jahrhundert-Erdbeben in Haiti werden noch 23 deutsche Staatsbürger vermisst. Das teilte Bundesaußenminister Guido Westerwelle am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Anne Will» mit. Bisher wurde ein deutsches Todesopfer geborgen, die Bundesregierung stockte ihre Soforthilfe am Wochenende für Haiti um sechs Millionen auf 7,5 Millionen Euro auf. "Das ist eine einzige, große Tragödie", sagte der FDP-Chef mit Blick auf das Beben, bei dem möglicherweise bis zu 200.000 Menschen umgekommen sind. Anders als seine US-Kollegin Hillary Clinton plane er nicht, in das Katastrophengebiet zu reisen. Die USA hätten politisch und geografisch eine andere Verbindung zu dem Karibikstaat als Deutschland, betonte Westerwelle.

Baby "Israel" in Feldlazarett in Haiti geboren

Ein Moment der Hoffnung inmitten des traurigen Chaos in Haiti: Eine junge Frau hat in dem israelischen Feldlazarett ein Baby zur Welt gebracht und es aus Dankbarkeit für die Retter auf den Namen Israel getauft. Ein israelischer Armeesprecher sagte am Montag, die 25-jährige Mutter sei wohlauf. Sie hatte nach Medienberichten ihre drei älteren Kinder bei den Eltern gelassen und ihren kleinen Sohn in der Nacht zum Sonntag nach mehreren Stunden der Wehen in dem israelischen Mobil-Krankenhaus geboren. Ihr Mann werde seit dem Erdbeben vermisst, hieß es.

"Es war so bewegend", erzählte die israelische Hebamme Efrat Schreier. "Sie war die einzige Gebärende, alle kümmerten sich um sie." In dem Feldlazarett in Port-au-Prince arbeiten etwa 40 israelische Ärzte und 40 Krankenschwestern rund um die Uhr. Etwa 90 freiwillige Ärzte aus Los Angeles hätten sich ihnen inzwischen angeschlossen, berichtete der israelische Rundfunk. Seit Samstag wurden mehr als 200 Überlebende behandelt, es gab zahlreiche Notoperationen.

"Da draußen tobt ein Krieg", sagte Arzt Karmi Bar-Tal zu den chaotischen Zuständen seit dem Erdbeben. "Wir entlassen Patienten, aber wir wissen nicht, was sie erwartet." Israelische Medien berichteten am Montag, Israel bemühe sich um die Adoption von etwa 50 Waisenkindern aus Haiti.

Am Sonntag hatten israelische Rettungskräfte einen 52-jährigen Mann aus den Ruinen eines Regierungsgebäudes geborgen, nachdem dieser eine SMS geschickt hatte. Das Rettungsteam wollte die Suche nach Überlebenden am Montag einstellen, wie der israelische Rundfunk meldete.

Däne überlebt fünf Tage unter Ruinen

Fünf Tage nach dem Erdbeben in Haiti ist ein Däne lebend und ohne physische Schäden aus den Ruinen eines eingestürzten Gebäudes befreit worden. Wie Angehörige des UN-Mitarbeiters Jens Tranum Kristensen am Montagmorgen im Rundfunk berichteten, meldete sich der Gerettete in der Nacht mit einer Mail. Es gehe ihm gut, teilte Kristensen mit. Die britische BBC zeigte Bilder, auf denen der Däne auf einer Bahre weggetragen wurde und die Arme bewegen konnte.

Er war am Sonntag aus den Ruinen des UN-Hauptquartiers in Port-au-Prince befreit worden, kurz nachdem sich dort der Generalsekretär der Weltorganisation, Ban Ki Moon, bei einem Besuch ein eigenes Bild von den Zerstörungen gemacht hatte. Später nannte Ban die Rettung des Dänen "ein kleines Wunder". Nach UN-Angaben sind mindestens 40 UN-Mitarbeiter bei dem Erdbeben ums Leben gekommen. Insgesamt 330 weitere werden vermisst.

dpa