Wenn eine Katastrophe die andere jagt

Wenn eine Katastrophe die andere jagt
Während die schrecklichen Folgen des Erdbebens in Haiti momentan die Anteilnahme der ganzen Welt auf sich ziehen, kämpfen in zahlreichen anderen Ländern Opfer von Naturkatastrophen weiterhin ums Überleben. Die Öffentlichkeit bekommt nach dem ersten Medien- und Spendenrummel von der Arbeit der Hilfsorganisationen vor Ort meist nicht mehr viel mit. Ein Beispiel ist West-Sumatra. Bei einem Erdbeben in der Provinzhauptstadt Padang starben vor einigen Monaten rund tausend Menschen.
17.01.2010
Von Christina Schott

Als am 30. September 2009 in der indonesischen Provinz die Erde mit einer Stärke von 7,6 Richter bebte, richteten sich die Augen der Welt kurzfristig auf die zerstörte Provinzhauptstadt Padang und ihre 900.000 Einwohner. "Am Anfang haben sich hier Organisationen von überall her getummelt, schon nach einer Woche hatten sich 190 Nichtregierungsorganisationen registriert. Hilfe war also ausreichend und schnell da – nur war sie anfangs etwas unkoordiniert", erzählt Thomas Molitor, der vor Ort als Projektleiter für Malteser International arbeitet. "Das Beben in Padang hat wirklich eine riesige Aufmerksamkeit erhalten", ergänzt seine Kollegin Nicole Derbinski, "ganz anders zum Beispiel als das Beben im benachbarten West-Java, das nur wenige Wochen davor ebenfalls einen ganzen Landstrich zerstört hatte".

Selbst innerhalb von Indonesien geriet die Katastrophe in West-Java beinahe in Vergessenheit, als die Nachbarinsel Sumatra nur wenig später bebte. Ein Grund dafür war sicherlich die Zahl der Toten, die in den Medien immer eine Rolle spielt: Während das Beben auf Java knapp hundert Todesopfer forderte, kamen in Padang rund tausend Menschen ums Leben. Ein weiterer Umstand, der das Interesse der Medien besonders schürte, war, dass das Beben von West-Sumatra beinahe gleichzeitig mit verheerenden Wirbelstürmen auf den Philippinen und in Vietnam sowie mit Tsunamis auf den Südseeinseln Samoa und Tonga geschah. Viele Hilfsorganisationen riefen daraufhin erfolgreich zu Sammelspenden für die "Katastrophen in Südostasien" auf.

Alle Spenden sind zweckgebunden

Da all diese Spenden zweckgebunden sind, brauchen die Opfer in Padang oder den anderen Katastrophenregionen keine Angst haben, dass die Hilfe, die für sie bestimmt war, angesichts des schlimmen Bebens in Haiti wieder abgezogen werden könnte. "Ganz anders hätte es vermutlich ausgesehen, wenn das Beben in Sumatra kurz nach einer solchen Riesenkatastrophe wie jetzt auf Haiti passiert wäre. Dann hätten Padang wohl viel weniger mediale Präsenz und infolgedessen viel weniger Hilfe erhalten", vermutet Thorsten Reckerzügl, der für die Caritas Schweiz in Indonesien tätig ist.

Doch während die meisten Nothilfeprojekte in der Provinz West-Sumatra mittlerweile erfolgreich abgeschlossen sind, fängt der Wiederaufbau gerade erst an. Angesichts der neuen Katastrophe auf der anderen Seite der Erdkugel besteht wenig Hoffnung, dass die Opfer von Padang dafür noch zusätzliche Gelder bekommen werden, selbst wenn es nötig wäre. Viele Hilfsorganisationen können sich am Wiederaufbau nur beteiligen, wenn sie zusätzliche Gelder beantragen oder Extra-Spenden erhalten. Wie etwa die Malteser International: "Wir leisten zwar immer auch unmittelbare Nothilfe – aber im Fall von Padang haben wir darüberhinaus eine einmalige Großspende erhalten, mit der wir nun eine Grundschule wiederaufbauen können", sagt Projektleiter Thomas Molitor. Viele andere Organisationen, die in West-Sumatra geholfen haben, ziehen sich nach Abschluss der Nothilfephase zurück.

Regierung will Abhängigkeit vermeiden

Das scheint allerdings ganz im Sinne der indonesischen Regierung zu sein, die den permanenten Wiederaufbau selbst übernehmen will, um nicht zu sehr in Abhängigkeit der internationalen Helfer zu geraten: Anders als das kleine Haiti verfügt der riesige Inselstaat Indonesien über zahlreiche Ressourcen in anderen Landesteilen sowie über eine funktionierende Regierung. Das heißt natürlich keinesfalls, dass die Indonesier keine Hilfe aus dem Ausland mehr annehmen wollen, immerhin geht es um den Wiederaufbau von rund 270.000 zerstörten Gebäuden. Doch wollen sie selbst die Kontrolle darüber behalten, was in ihrem Land geschieht. Das bringt in der Regel viele bürokratische Hürden mit sich.

Viele ausländische Organisationen suchen sich daher einheimische Partner, denen sie die Spenden übertragen. Wie etwa der deutsche Hilfsverein Help e.V., der mit der indonesischen Ibu Foundation zusammenarbeitet. Gemeinsam haben die Organisationen Lebensmittel, Hygieneartikel und Werkzeuge verteilt, Regenwasser-Filtersysteme installiert und bereits drei beschädigte Schulen instand gesetzt. "Wir sind seit dem Tsunami vor fünf Jahren in Aceh und Nord-Sumatra tätig und haben daher schon Erfahrungen mit einheimischen Partnern, denen wir vertrauen. Mit deren Hilfe konnten wir nach dem Beben sehr schnell auch in West-Sumatra aktiv werden", erklärt Nicola Breunig, die vor Ort für Help e.V. Projekte koordiniert. Da der Wiederaufbau in der vom Tsunami zerstörten Provinz Aceh im vergangenen Jahr gerade abgeschlossen wurde, hatten viele internationale Organisationen ihre Logistik noch vor Ort, aber Kapazitäten für Padang frei.

Provisorien können später ausgebaut werden

"Ich glaube, dass genug Helfer in Padang bleiben werden, um den Wiederaufbau zu begleiten – trotz der Aufmerksamkeit, die Haiti jetzt bekommt, und obwohl viele Organisationen nach der Nothilfe abziehen", sagt Thorsten Reckerzügl von der Caritas Schweiz. Seine Organisation wird nun beginnen, sogenannte Kernhäuser zu bauen, die den Erdbebenopfern zunächst als vorübergehende Unterkunft dienen sollen. Diese permanenten Ziegelbauten sind auf Dauer zu klein für eine Familie, können dann später aber zum Beispiel mit staatlicher Hilfe zu einem größeren Haus ausgebaut werden. "Mit diesem Ansatz wollen wir gewährleisten, dass mit den bereits vorhandenen Spenden möglichst vielen Betroffenen schnell geholfen werden kann, die Gelder aber gleichzeitig einem langfristigen und nachhaltig sinnvollen Nutzen zukommen", so der Indonesienkenner.