Haiti: Präsident befürchtet tausende Tote

Haiti: Präsident befürchtet tausende Tote
Rund drei Millionen Menschen könnten nach ersten Schätzungen von dem schweren Erdbeben auf Haiti betroffen sein. Der Präsident rechnet mit tausenden Toten. Die internationale Hilfe ist angelaufen - unter Schwierigkeiten. Die UN gehen von mehreren hundert Toten aus, doch wieviele Menschen noch unter den Trümmern begraben sind, kann derzeit keiner sagen.

Um 16.53 Uhr stürzte Haiti in ein blutiges Chaos. Das schwerste Erdbeben seit rund 150 Jahren verwüstete Port-au-Prince, die Millionen-Hauptstadt des bitterarmen Karibikstaates. Es wurden hunderte, wenn nicht gar tausende Tote befürchtet. Präsident René Preval sprach in einer ersten Erklärung von einer "unvorstellbaren Katastrophe" und befürchtete "Tausende von Toten". Die Straßen seien von Leichen übersät, unter den Trümmern riefen Verschüttete verzweifelt um Hilfe, sagte der Präsident der US-amerikanischen Zeitung "Miami Herald".

Blutüberströmte Menschen liefen voller Panik auf die Straßen. "Das ist das Ende der Welt", sagte eine völlig geschockte junge Frau, die das Erdbeben von einem Hügel aus sah. Das Telefonnetz in Haiti brach zusammen. Es gab stundenlang kein Durchkommen, Informationen waren nur schwer zu bekommen. Vielen Haitianern gelang es aber dennoch, im Internet die Welt um Hilfe zu bitten.

Als wenige Stunden nach dem Erdbeben die Dunkelheit in Haiti anbrach, blieben die Menschen auf den Straßen. Mehr als 20 heftige Nachbeben wurden registriert. Immer wieder wankte die Erde. Mehrstöckige Häuser stürzten ein und begruben Menschen unter sich. Autos wurden verschüttet, Straßen aufgerissen, Strom- und Telefonmasten knickten ein. In stockdunkler Nacht gruben Menschen verzweifelt mit den Händen in den Trümmern, um Verschüttete zu befreien. Dramatische Szenen spielten sich ab. Auf einem Fernsehbild war ein Mann zu sehen, der vor Schmerzen schrie, als man versuchte, sein eingeklemmtes linkes Bein unter den Trümmern frei zu bekommen. "Ein Alptraum", berichtete ein Haitianer via Skype.

Auf den staubigen Straßen von Port-au-Prince wurden blutende Menschen notdürftig versorgt. Nach Schätzungen des Roten Kreuzes sind drei Millionen Einwohner von dem Erdbeben betroffen, also rund etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung Haitis. Der blendend weiße Präsidentenpalast hielt dem Beben nicht stand. Es war nur noch ein Trümmerhaufen. Auch mehrstöckige Gebäude der Vereinten Nationen, die seit 2004 eine UN-Friedenstruppe in Haiti stationiert haben, stürzten ein. Einige Häuser fingen Feuer. Mauern entlang von Straßen brachen ein. Während der Nacht und auch bei Tag gab es keine offiziellen Angaben aus Haiti über das Ausmaß der Schäden und die Zahl der Toten.

Obwohl die normalen Telefonleitungen in der Nacht nicht funktionierten, schafften es einige Augenzeugen, zum Ausland via Satelliten-Telefon Kontakt aufzunehmen. "Die Mauern sind überall zusammengestürzt. Ich bin um mein Leben gelaufen. Menschen schrien: Jesus! Jesus! Es war völlig irreal. Völlig abgedreht. Ich bin aus meinen Hotelzimmer gelaufen, und die Mauer ist direkt neben mir zusammengebrochen", berichtete etwa der Fotograf Ivanoh Demers dem kanadischen Online-Magazin cyberpresse.ca.

Am Mittwoch meldeten mehrere Staaten, die an der UN-Mission in Haiti beteiligt sind, Todesopfer unter ihren Soldaten - darunter China und Brasilien. Auch in dem bei Touristen beliebten Luxushotel Montana sollen zahlreiche Menschen unter den Trümmern begraben worden sein. Der Botschafter Haitis in den USA, Raymond Joseph, sprach in Washington von einer "großen Katastrophe". Sein leidgeplagtes Land habe aber schon oft solche Erfahrungen gemacht. "Die tapferen Haitianer werden das vereint durchstehen." Auch der Diplomat appellierte eindringlich an die Weltgemeinschaft, umgehend zu helfen. Notwendig sei jetzt vor allem ein Lazarettschiff.

Nach Angaben von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon "hunderte Menschen" ums Leben gekommen. "Genaue Angaben haben wir nicht, weil die Kommunikation praktisch völlig zusammengebrochen ist", sagt Ban am Mittwoch in New York. "Wir haben nur einige wenige Satellitenkanäle, mehr nicht." Die Infrastruktur in und um die Hauptstadt Port au Prince sei schwer zerstört. "Energie- und Wasserversorgung sind völlig zusammengebrochen, viele Gebäude sind eingestürzt. Die Retter waren die ganze Nacht im Einsatz, aber wir müssen davon ausgehen, dass immer noch viele Menschen eingeschlossen sind."

Das Erdbeben hat nach Einschätzung des Roten Kreuzes rund drei Millionen Menschen schwer getroffen. Das bestätigte Peter Conneally von der Internationalen Föderation vom Roten Kreuz und Roten Halbmond (ICRC) am Mittwoch in Genf. Die Vereinten Nationen haben nach eigenen Angaben für die Hilfe in dem Karibikstaat etwa 30 internationale Hilfeteams mobilisiert. Elizabeth Byrs vom UN-Koordinationsbüro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) betonte, die Hilfsprojekte liefen unter großen Schwierigkeiten an.

Nach Angaben von UN-Experten werden vor allem Bergungsteams gebraucht. "Das Bild in Port au Prince ist sehr gemischt. Einige Stadtteile sind völlig zerstört, andere kaum. Wir wissen aber, dass unter den Trümmern noch Hunderte, vielleicht Tausende Menschen liegen, von denen viele noch leben." "Die nächsten Prioritäten sind sauberes Wasser, Nahrung und Obdach. Das wird eine Großoperation", sagte der UN-Experte.

Zahlreiche Länder, darunter Deutschland, die USA und viele lateinamerikanische Staaten sagten schon am Mittwoch umfangreiche Soforthilfen in Millionen-Höhe zu. Die wird das ärmste Land der westlichen Hemisphäre bitter nötig haben, denn die Wirtschaft in dem Neun-Millionen-Einwohner-Land liegt am Boden. In den USA liefen noch in der Nacht die Vorbereitungen für Hilfstransporte an.

Die deutsche Bundesregierung hat Haiti nach der Erdbebenkatastrophe 1,5 Millionen Euro Soforthilfe zugesagt und die Entsendung von Bergungsteams angeboten. Das Entwicklungsministerium teilte am Mittwoch in Berlin mit, dass mit dem Geld den Menschen geholfen werden soll, die unmittelbar von den Auswirkungen und Zerstörungen des Bebens betroffen sind. Die mit dem Geld unter anderem geplante Nahrungsmittelversorgung soll über die auch in Haiti im Bundesauftrag tätige Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) erfolgen, sagte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP).

THW fliegt in das Erdbebengebiet

Zudem flogen vier Experten des Technischen Hilfswerks (THW) noch am Mittwoch via Chicago in die Krisenregion, teilte das Bundesinnenministerium mit. Weitere Spezialkräfte und Suchtrupps des THW wurden in Deutschland zusammengezogen, um im Bedarfsfall umgehend in den Karibikstaat zu reisen.

Auf Veranlassung von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) wurde im Auswärtigen Amt ein Krisenstab eingerichtet. "Ich bin bestürzt über das Ausmaß der Erdbebenkatastrophe", sagte Westerwelle nach einem Telefonat dem deutschen Botschafter in Haiti am Mittwoch in Berlin. "Die Bundesregierung wird der Republik Haiti mit jeder möglichen Hilfe zur Seite stehen." Der Krisenstab solle prüfen, ob auch Deutsche unter den Opfern des Erdbebens sind. "Wir hoffen es nicht, ich kann es leider auch nicht ausschließen", so Westerwelle.

Der Flughafen in Port-au-Prince war in der Nacht gesperrt. Erst am Tag sollte geprüft werden, ob die Start-und Landepisten durch das Erdbeben beschädigt wurden. Als letztes Flugzeug verließt am Dienstag kurz nach dem Erdbeben ein Flugzeug der "American Airlines" Haiti. Bei der Ankunft in Miami (Florida) war bei den haitianischen Passagieren von Freude über die geglückte Flucht aus dem Chaos nichts zu spüren. Die meisten von ihnen ließen Familien und Freunde im Ungewissen zurück und befürchteten das Schlimmste.

dpa/epd