Bethlehem zur Weihnachtszeit: Kein Raum in der Herberge?

Bethlehem zur Weihnachtszeit: Kein Raum in der Herberge?
Illegale Studenten, Anfeindungen gegen Christen und soziale Probleme: Bethlehem, den Evangelien zufolge Jesu Geburtsort, ist heute durch den Nahost-Konflikt eine Stadt gestrandeter Hoffnungen.
22.12.2009
Von Iris Völlnagel

Irgendetwas in Georgs Gesicht lässt die Traurigkeit nicht weichen. Selbst wenn er lacht, was er eigentlich gerne macht, bleiben seine Augen traurig. Und wer seine Geschichte kennt, weiß warum. Seit zwei Jahren lebt der 23-jährige Student in Bethlehem - illegal. Seinen wahren Namen will er deshalb nicht veröffentlicht wissen, aus Sorge um seine Familie, die immer noch im Gazastreifen lebt. Am 26. Dezember werden es zwei Jahre, dass Georg von dort nach Bethlehem, also ins Westjordanland kam.

Dabei hatte er damals ganz andere Lebensträume: Er wollte in den USA studieren. Doch an jenem 26. Dezember zerplatzte der Traum. Die US-Botschaft lehnte seinen Visumsantrag ab. Zurück nach Gaza war für ihn keine Option, also versuchte er in Bethlehem unterzukommen. Gaza sei ein Gefängnis, erzählt Georg. "In Gaza war es als Christ für mich sehr schwierig zu überleben, deshalb bin ich geflohen." Einer seiner Jura-Professoren sei gezwungen worden, für die Hamas zu arbeiten, ein anderer sei getötet worden. Seine Schwester dürfe nur mit Schleier das Haus verlassen und das, obwohl sie griechisch-orthodoxe Christin ist.

"In Palästina brauchen wir Menschen mit Glauben und Hoffnung"

Seit einem Jahr studiert Georg nun am Bethlehem Bible College. Dass er illegal hier ist, weiß auch sein Schulleiter Axel Ahwad. Doch das stört ihn nicht. Im Gegenteil. "Einer unserer Grundsätze ist, dass wir die Studenten nicht über Leid lehren, sondern wir wollen ihnen Hoffnung vermitteln", so der arabische Christ. "In Palästina brauchen wir Menschen mit Glauben und Hoffnung." Was er sagt, klingt wie der Kampf David gegen Goliath.

Nirgends in der Westbank liegt die Arbeitslosenquote höher als in Bethlehem. Der Schule angeschlossen ist deshalb auch eine Suppenküche für Bedürftige. Solange Georg hier studieren kann, kann er etwas für seine Zukunft tun, meint sein Schulleiter.

Der Campus der kleinen Hochschule wirkt wie eine Insel im sonst eher trostlosen Alltag. Ohne ausländische Geldgeber könnte die Hochschule nicht überleben, erzählt Schulleiter Ahwad. Kaum einer der 135 Studenten kann für seine Studiengebühren selbst aufkommen. Dennoch will Ahwad so viel Studenten wie möglich ausbilden. "Eine gute Bildung ist das Einzige, was wir den jungen Menschen vermitteln können." Dazu versucht die Hochschule Ausbildungen etwa zum Reiseleiter oder zum Medienexperten anzubieten, die ihnen später ein Einkommen schaffen könnten.

Eine Kontrolle kostet die Berufsperspektive

Georg ist längst nicht der einzige Student aus dem Gazastreifen, der sich illegal in der Westbank aufhält. In den vergangenen Wochen hat der Fall Berlanty Azzam international für Schlagzeilen gesorgt. Wie George stammt auch sie aus einer christlichen Familie in Gaza. Die 21-Jährige studierte in Bethlehem und stand kurz vor ihrem Hochschulabschluss.

Auf dem Rückweg von einem Vorstellungsgespräch im 30 Kilometer entfernten Ramallah geriet sie in eine israelische Militärkontrolle. Weil sie sich ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung im Westjordanland aufhält, wurde sie kurzerhand in den Gazastreifen gebracht.

Mit Unterstützung einer israelischen Menschenrechtsgruppe kam Berlantys Fall vor das oberste israelische Gericht. Ohne Erfolg. Nun sitzt Berlanty in Gaza fest, ohne abgeschlossenes Studium, ohne Perspektive. Wenn Georg erwischt wird, könnte ihn dasselbe Schicksal ereilen.

Mit Kreuz bespuckt und beschimpft

Verglichen mit Gaza sei Bethlehem für Christen ein Paradies, erzählt Berlanty gegenüber deutschen Journalisten. Häufiger sei sie schon bespuckt und beschimpft worden. Eine Erfahrung, die Amira Farhoud in Bethlehem allerdings auch schon gemacht hat. "Kinder kamen und haben mich bespuckt und mich beschimpft, weil ich ein Kreuz getragen habe", erzählt die 18-jährige Studentin, die aus einer christlichen Familie aus Beit Sahur stammt. Am liebsten würde sie Bethlehem verlassen und als Filmemacherin nach Italien gehen. "Doch leider", fügt die lebenslustige Studentin traurig hinzu, "ist das wohl nur ein Traum."

Einst lebten in Bethlehem 98 Prozent Christen. Heute sind es laut Bürgermeister Victor Batarseh noch 40 Prozent der Einwohner. Allein in den letzten fünf Jahren hätten 300 christliche Familien den Geburtsort Jesu verlassen. Insgesamt leben in und um Bethlehem rund 60.000 Menschen. Der Grund für den stetigen Wegzug liege aber nicht in der schwierigen Situation der Christen oder in Auseinandersetzungen mit der moslemischen Bevölkerung, sondern in der anhaltenden Okkupation durch die Israelis, so Batarseh.

Arbeitslosigkeit und Grenzmauer größte Probleme

Seit fünf Jahren ist der 75-jährige Katholik Bürgermeister der einst christlichen Stadt. Von Schwierigkeiten zwischen Christen und Moslems, wie die jungen Studenten sie erleben, mag der gelernte Hals-Nasen-Ohrenarzt nichts wissen. Im Gegenteil: In Bethlehem seien doch selbst an Ramadan die Restaurants geöffnet und Extremisten gebe es schließlich überall.

Die Probleme seiner Stadt sieht der Bürgermeister ganz woanders: Die hohe Arbeitslosigkeit, die hohe Bevölkerungsdichte und die Tatsache, dass Israel durch den Mauerbau fruchtbares Land konfisziert habe, seien auch an Weihnachten 2009 die größten Probleme der Stadt. Doch das bevorstehende Fest stimmt den Bürgermeister hoffnungsfroh. 15.000 Menschen erwartet Batarseh an Heiligabend. "Weihnachten ist immer ein Fest und wir werden es immer feiern", jubelt Batarseh. Schon seit Monaten sind alle Hotelbetten in Bethlehem ausgebucht. Und auch die Straßendekoration sei dank ausländischer Spendengelder wieder besser als im letzten Jahr.

Weihnachtsspektakel ändert Lage kaum

Es sind vor allem christliche Pilger, die nach Bethlehem reisen. 800.000 Menschen sollen es 2009 insgesamt gewesen sein. Für das nächste Jahr hofft Batarseh, dass es wieder über eine Million werden könnte. So wie früher, in den Zeiten, als noch keine Sperrmauer die palästinensischen Gebiete von Israel trennte. Inzwischen kommen die Touristen zwar wieder für einige Stunden, um die Geburtskirche zu sehen, doch die wenigsten bleiben über Nacht in Bethlehem.

Georg stimmt das bevorstehende Touristenspektakel nicht so hoffnungsfroh. Auch die Ankündigung des israelischen Tourismusministers Stas Misezhnikov, zu Weihnachten hunderte Christen aus dem Gaza-Streifen nach Israel und Bethlehem reisen zu lassen, überzeugt ihn nicht. Denn Georg glaubt nicht, dass jemand aus seiner Familie dabei sein wird. Und selbst wenn - die Angst vor der Abschiebung bleibt.


Iris Völlnagel ist freie Journalist und arbeitet zurzeit als Ernst-Cramer-Stipendiatin in Israel.