Pro life: Die Todesstrafe muss abgeschafft werden

Pro life: Die Todesstrafe muss abgeschafft werden
In den USA sind es auch fromme Christen, die die Todesstrafe befürworten. Und das, obwohl der Glaube und die Bibel eben keine Rechtfertigung für diese Bestrafung liefern.
08.12.2009
Von Ralf-Peter Reimann

"Pro life" – für das Leben – das ist der Slogan der Lebensschützer in den USA. Dieses Motto wird von den meisten frommen Amerikanern allerdings nur auf das ungeborene Leben bezogen, die Todesstrafe dagegen wird von einer Mehrheit der Amerikaner als notwendig betrachtet und als durch die Bibel gerechtfertigt angesehen.Das fünfte Gebot "Du sollst nicht töten!" scheint für den Bereich des staatlichen Handelns keine Geltung zu haben, wenn im Auftrage des Staates Menschen hingerichtet werden.

Für wen gelten die Gebote? Woher stammen sie?

Gemäß der biblischen Überlieferung hat Gott sie den Menschen gegeben, um das menschliche Zusammenzuleben zu regeln. Wer sich die biblischen Gebote im Kontext ansieht, macht zwei Beobachtungen: Auch im Regelwerk der Hebräischen Bibel, unseres Alten Testamentes, ist für bestimmte Vergehen die Todesstrafe vorgesehen. Aber auch diese Beobachtung gilt: die biblischen Gebote dienen der Eindämmung der Gewalt und Förderung des Lebens.

"Auge um Auge"

Das so genannte Talionsrecht, bekannt als "Auge um Auge, Zahn um Zahn", setzt der Bestrafung ganz enge Grenzen, sie darf nicht schlimmer sein, als die ursprüngliche Tat. Die jüdische Auslegung hat es dementsprechend als Regelung dafür verstanden, dass die Strafe für ein Verbrechen dem Schaden und den beteiligten Personen angemessen sein soll. Hiermit legt das Alte Testament - ganz im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Meinung - die Grundlage für ein Rechtssystem, in dem Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit gewährleistet sind.

Wenn Jesus in der Bergpredigt dem Talionsgebot die Aussage gegenüberstellt: "Wenn dir einer auf die rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar" (Mt 5,39), so setzt er das Gebot der gerechten Bestrafung nicht außer Kraft, sondern ruft seine Jünger zum Verzicht auf Vergeltung für erlittenes Unrecht auf. In seiner Begegnung mit der Ehebrecherin stoppt Jesus nach der Überlieferung des Evangelisten Johannes den Vollzug einer Steinigung. Für Christen gelten daher die Regeln der Bergpredigt und das Vorbild Jesu, innerhalb der christlichen Gemeinschaft darf es keine Todesstrafe geben. Dies gilt natürlich unmittelbar für die Kirche.

Christentum als Staatsreligion

Als das Christentum im Laufe der geschichtlichen Entwicklung selbst zur Staatsreligion wurde, stelle sich die Frage, ob man die Bergpredigt als Anleitung für einen christlichen Staat nehmen dürfe. Wie kann man – nicht nur die Todesstrafe, sondern überhaupt jegliche staatliche Gewalt legitimieren, wenn man lieber die rechte Backe hinhalten soll, als für das eigene Recht einzutreten? Protestantische Theologie entwickelte darauf hin die Lehre von den zwei Regimenten, dem geistlichen Regiment, dem die Kirche zuzuordnen ist, in dem die Liebe regiert und die Bergpredigt anzuwenden sei, und das weltliche Regiment, in dem die Vernunft waltet und Gerechtigkeit notfalls mit Gewalt durchzusetzen sei.

Wenn auch nach eigenem Verständnis innerhalb des geistlichen Regimentes die Todesstrafe abgelehnt wurde, so billigte die Kirche diese dem Staat durchaus zu. Ist dieses Einschätzung heute noch zu teilen? Ich denke nicht. In der Zwei-Regimenten-Lehre wird vom weltlichen Regiment gefordert, Vernunft walten zu lassen und so Gerechtigkeit zu üben. Vernünftige Gründe, die gegen die Todesstrafe sprechen, überwiegen aber: die Todesstrafe senkt nicht durch ihr Abschreckungspotenzial die Zahl von Verbrechen, oft genug wurden Fehlurteile gesprochen, die nicht zu revidieren sind, die Todesstrafe kann politisch missbraucht werden, und bezogen auf die USA ist sie auch zu teuer, wenn man die Verfahrenskosten in Prozessen mit Todesstrafe und die besondere Unterbringung einrechnet.

Gerechtigkeit statt Vergeltung

Entscheidender als diese "vernünftigen" Gründe gegen die Todesstrafe, ist jedoch das Selbstverständnis des modernen Staates in der jüdisch-christlichen Tradition. Hier gibt es eine historische Entwicklungslinie. So wie bereits im Alten Testament das Recht auf Vergeltung eingeschränkt wurde und im Neuen Testament innerhalb der christlichen Gemeinschaft dieses Recht verneint wurde, so ist diese Entwicklung auch auf den modernen Staat zu übertragen: Gerechtigkeit statt Vergeltung ist das Ziel. Denn der Staat weiß darum, dass er Grundlagen hat, die jenseits seiner selbst liegen. Daher beginnt auch die Präambel des Grundgesetzes mit den Worten: "Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott…" und der erste Artikel lautet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Das Recht auf Leben ist die elementarste Ableitung aus dieser Menschenwürde.