Traktorist, Mechaniker und mutmaßlicher SS-Wächter

Traktorist, Mechaniker und mutmaßlicher SS-Wächter
Familie, Kinder, ein bescheidener Broterwerb als Automechaniker: John Demjanjuk führte jahrzehntelang ein normales bürgerliches Leben. Doch er gilt als einer der letzten NS-Verbrecher, die für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden sollen.
30.11.2009
Von Sabine Dobel

Am Montag beginnt vor dem Landgericht München II sein Prozess wegen Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden im Vernichtungslager Sobibor 1943. Als Kriegsgefangener der Deutschen soll Demjanjuk sich freiwillig zum SS-Helfer ausbilden lassen und dann als Wachmann die Nazis bei ihren Massenmorden unterstützt haben.

Es ist nicht wahrscheinlich, dass der junge Ukrainer namens Iwan Demjanjuk gerne in den Krieg gezogen ist. Er hat auf einer Kolchose einen guten Job als Traktorfahrer, als er 1940 als 20-Jähriger von der Roten Armee eingezogen wird. 1942 gerät er in deutsche Gefangenschaft, in der Millionen sowjetische Gefangene sterben. Vor die Wahl gestellt, nimmt er offenbar das Angebot an, mit den Deutschen zusammenzuarbeiten und lässt sich im SS-Ausbildungslager Trawniki ausbilden. Die dort ausgebildeten Hilfskräfte - vor allem Ukrainer, aber auch Letten, Esten, Litauer und Polen - setzten die Nazis beim Völkermord in den KZs ein. Demjanjuk soll zuerst auf einem landwirtschaftlichen Gut jüdische Zwangsarbeiter bewacht und dann im Vernichtungslager Sobibor sowie im KZ Flossenbürg im Einsatz gewesen sein.

Zweifel an der Identität

Ein SS-Ausweis mit der Nummer 1393 gilt als Hauptbeweismittel. "Abkommandiert am 27.3.43 Sobibor" ist handschriftlich darauf notiert. Dennoch hat Demjanjuk früher bestritten, überhaupt je Wachmann gewesen zu sein. Seit er in München ist, hat er sich nicht geäußert. Seine Anwälte zweifeln an, dass ihr Mandant der Demjanjuk ist, dem der Dienstausweis gehörte.

Nach dem Krieg meldet sich Demjanjuk als sogenannte "Displaced Person" und damit praktisch als Nazi-Opfer. Als ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener kann er 1952 zusammen mit seiner nach dem Krieg gegründeten Familie in die USA ausreisen. Seine mögliche NS-Vergangenheit wird damals nicht bekannt, obwohl er in den Papieren für die Ausreise als früheren Aufenthaltsort unter anderem "Sobibor" angibt. Er nimmt in den USA den Vornamen John an und arbeitet als Automechaniker.

Jahrzehnte später kommt der Verdacht auf, Demjanjuk könnte "Iwan der Schreckliche" von Treblinka gewesen sein. 1986 wird er von den USA an Israel ausgeliefert und dort 1988 wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 800.000 Juden zum Tode verurteilt. Demjanjuk jedoch bezeichnet sich immer wieder als Opfer einer Verwechslung. Tatsächlich tauchen schließlich Beweise auf, die Zweifel an der Identität bestätigten; 1993 hebt das Oberste Gericht Israels das Todesurteil auf. Nach sieben Jahren Haft, davon fünf in der Todeszelle, kehrt Demjanjuk in die USA zurück. Zuletzt lebt als Staatenloser mit seiner Familie in Seven Hills bei Cleveland im Bundesstaat Ohio.

Täglich drei Stunden verhandlungsfähig

Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg nimmt jedoch den Fall wieder auf und sammelt neue Beweise. Im November 2008 übergibt sie das Material der Staatsanwaltschaft München. Im Mai wird Demjanjuk nach Deutschland abgeschoben.

Die Bilder seiner Abschiebung, die den alten Mann teils erbärmlich im Rollstuhl, teils im Krankenwagen zeigen, gehen um die Welt. Im Gefängnis Stadelheim ist er in der Krankenabteilung untergebracht, die Ärzte haben ihn für eingeschränkt verhandlungsfähig erklärt: Je Prozesstag darf nicht länger als zweimal 90 Minuten verhandelt werden. Weil sich Demjanjuk bisher nicht zu den Vorwürfen äußert und obendrein die Verhandlung wegen seiner geringen Deutschkenntnisse wahrscheinlich ins Ukrainische oder Englische übersetzt werden muss, könnte einer der letzten NS-Verbrecherprozesse zu einem langwierigen Indizienprozess werden.

dpa