Huber zieht Bilanz: Wollen erkennbar evangelisch sein

Huber zieht Bilanz: Wollen erkennbar evangelisch sein
In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist nach Ansicht des scheidenden Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber das "geistliche Kerngeschäft" wichtiger geworden. "Wir haben in jedem Fall das Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig Gottesdienst, Bibel und Glaubensfragen sind", sagte der Berliner Bischof in einem Interview des Evangelischen Pressedienstes (epd). Er fügte hinzu: "Diese Entwicklung tut unserer Kirche gut." In dieser Konzentration zeige sich, "dass wir nicht nur organisatorisch in einer erkennbaren Weise evangelisch in Deutschland sein wollen".
16.10.2009
Von Rainer Clos und Thomas Schiller

Frage: Ende Oktober wählt die Synode der EKD einen neuen Rat, dem Sie nicht mehr angehören werden. Was waren die drei Höhepunkte Ihrer Amtszeit?

Wolfgang Huber: Ein erster Höhepunkt ist ganz bestimmt der Reformprozess der evangelischen Kirche. Durch diesen Prozess ist viel in Bewegung gekommen. Dafür bin ich sehr dankbar und hoffe auch, dass dies über die sechs Jahre hinaus fortwirken wird. Einen zweiten Höhepunkt sehe ich darin, dass wir mit grundsätzlichen Äußerungen zu wichtigen Fragen von politischer Ethik und Soziallehre vorangekommen sind. Auf diese Weise haben wir sehr viel dazu beigetragen, dass die Position unserer Kirche zu wichtigen gesellschaftlichen und politischen Fragen klar erkennbar geworden ist. Schließlich drittens haben wir die Grundlinien unseres Verständnisses von Gottesdienst, Abendmahl und Taufe vollständig dargelegt. Dies zeigt, dass wir nicht nur organisatorisch in einer erkennbaren Weise evangelisch in Deutschland sein wollen.

Frage: Und was waren die bittersten Enttäuschungen?

Huber: Eine Enttäuschung sehe ich darin, dass wir ökumenisch nicht so weiter gekommen sind, wie viele sich das gewünscht haben. In diese sechs Jahre fällt die erneute vatikanische Äußerung zur Frage, wer als Kirche bezeichnet werden kann. Trotzdem haben wir ökumenisch in Deutschland gut und verlässlich zusammengearbeitet; umso mehr tun mir Irritationen leid, die in der allerjüngsten Vergangenheit durch eine inakzeptable Indiskretion entstanden sind. Eine zweite Enttäuschung ist natürlich, dass wir in wichtigen Fragen politisch nicht haben erreichen können, was uns wichtig ist: in Fragen des Religionsunterrichts, in Fragen der Patientenverfügung und des Umgangs mit den Grenzen menschlichen Lebens. Da hätten wir uns klarere Positionen vonseiten der Gesetzgebung gewünscht. Meine große Hoffung ist, dass die missionarische Ausrichtung unserer Kirche noch deutlichere Resonanz findet: sowohl im Handeln der Gemeinden als auch in der Bereitschaft von Menschen, die den Kontakt zur Kirche über lange Zeit verloren haben, sich dafür neu zu öffnen.

Neues Bewusstsein für Gottesdienst und Glaube

Frage: Ist die Selbstsäkularisierung der Kirche, die Sie immer wieder beklagt haben, gestoppt?

Huber: Wir haben in jedem Fall das Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig Gottesdienst, Bibel und Glaubensfragen sind und dass sich unsere Kirche immer wieder an diesen Themen ausrichten sollte, um aus ihnen Kraft zu schöpfen. Die Zeit seit der sogenannten "Missionssynode" 1999 in Leipzig ist ein ermutigendes Zeichen gegen die Tendenz der Selbstsäkularisierung. Die Besinnung auf unser geistliches "Kerngeschäft" ist auch die wichtigste Triebfeder des Reformprozesses. Diese Entwicklung tut unserer Kirche gut!

Frage: In den vergangenen sechs Jahren war die EKD auch mit dem Gesicht ihres Ratsvorsitzenden stärker als in der Vergangenheit öffentlich präsent. Das hat Ihnen nicht nur Wohlwollen eingebracht. Wie viel Führungsstärke erträgt der in weiten Teilen basisdemokratisch eingestellte Protestantismus?

Huber: Für mich gibt es keinen Gegensatz zwischen der gemeinsamen Verantwortung aller Getauften für die Erkennbarkeit von Kirche und für die Weitergabe des Evangeliums und der Bereitschaft jedes Einzelnen, nun auch seinen Beitrag klar erkennbar zu machen. Dazu gehört, dass der Ratsvorsitzende eine wichtige Steuerungs- und Koordinierungsaufgabe nach innen hat und dass er auch nach außen wahrnehmbar sein musste. Ich verstehe, dass manche darin eine Spannung sehen. Aber es gilt der Grundsatz: Gemeinsam sind wir stark.

Mit innerer Fröhlichkeit

Frage: Wie fällt Ihr ganz persönliches Fazit aus?

Huber: So sehr wie ich dankbar bin für die positive Resonanz, die diese Bemühungen gefunden haben, genauso froh bin ich darüber, dass diese Ratsperiode nach innen von vielen als eine Zeit eingeschätzt wird, in der wir gut und fruchtbar zusammengearbeitet haben. Die Zusammenarbeit im Rat, mit dem Kirchenamt der EKD, der Dienststelle in Berlin und der Kirchenkonferenz hat viel Freude gemacht. Dass es dabei auch einmal kritische Töne gibt, ist vollkommen klar. Aber ich schaue auf diese Zeit mit einer großen inneren Fröhlichkeit zurück, weil sie nicht etwas Verbissenes in sich hatte, sondern es viel Heiterkeit gab.

Frage: Stärker als Ihre Vorgänger haben Sie das Gewicht Ihrer Tätigkeit zwischen Leitungsamt in der Landeskirche und in der EKD auf die bundesweite Ebene verschoben. Sollte der Ratsvorsitz künftig ein Vollzeitamt sein?

Huber: Nein, ich teile auch Ihre Ausgangsbeobachtung nicht. Ich hatte das Glück, dass der Dienstsitz Berlin manches leichter gemacht hat, als es von einem anderen Ort aus wäre. Aber ich habe mich nach Kräften darum bemüht, Bischof meiner Landeskirche zu sein. Der Eindruck wäre nicht richtig, dass meine Beteiligung an den landeskirchlichen Aufgaben über die Jahre weniger geworden wäre, selbst wenn Aufgaben auf der Ebene der EKD von Jahr zu Jahr noch ein bisschen dichter geworden sind. Einfach ist das nicht miteinander zu verbinden. Und ich gebe es zu, dass ich diese Doppelfunktion nicht auf unabsehbare Zeit hätte ausüben können. Aber die Nähe zur kirchlichen Wirklichkeit, der tägliche Kontakt mit den Gemeinden, die Kenntnis der kirchlichen Situation in Stadt und Land wenigstens exemplarisch am Beispiel der eigenen Landeskirche sind in meinen Augen eine sehr wichtige Basis für die Aufgabe eines Ratsvorsitzenden.

Frage: In der Wirtschaft gibt es keine Altersbeschränkung für Topleute, in der katholischen Kirche sind die Altersgrenzen ebenfalls weiter gefasst. Hätten Sie gern noch für eine weitere Amtszeit kandidiert?

Huber: Es ist in unserer Kirche mit guten Gründen anders; deswegen hat sich die Frage einer weiteren Amtszeit nicht gestellt. Ich habe das sechs Jahre von Herzen gern und mit Freude gemacht und keinen Tag bereut. Ich bin froh über die erquickliche Zusammenarbeit mit einem großen Kreis von Menschen. Aber genauso fröhlich wie ich auf diese Zeit zurückblicke, genauso fröhlich schaue ich jetzt auf andere Möglichkeiten, um mit meiner Zeit etwas Sinnvolles zu tun.

Eine deutliche Zäsur

Frage: Was machen Sie im nächsten Jahr?

Huber: Zunächst einmal gibt es eine deutliche Zäsur. Urlaub, Zeit für die Familie und Zeit zum Nachdenken werden in den nächsten Monaten ganz deutlichen Vorrang genießen. In dieser Zeit werden sich die Dinge so sortieren, dass ich dann einige Aufgaben wahrnehmen werde, die ganz deutlich Abstand zu denen eines Bischofs der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz einerseits und des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland haben.

Frage: Werden Sie sich wieder stärker parteipolitisch engagieren?

Huber: Nein. In den Bereich der Parteipolitik gibt es für mich keinen Weg zurück. Das heißt nicht, dass ich ein unpolitischer Mensch werde. An den Geschehnissen unseres Gemeinwesens nehme ich mit großer innerer Leidenschaft teil. Und wenn ich gefragt werde, mich zu dem einen oder anderen Thema zu äußern, werde ich das gegebenenfalls auch tun.

epd