7 - Keine Zuversicht, nirgends: Die Wahl geht an Wohnungslosen vorbei

7 - Keine Zuversicht, nirgends: Die Wahl geht an Wohnungslosen vorbei
Nicht jeder Wähler geht morgens aus dem Haus, um sein Wahllokal aufzusuchen. Manche haben einfach keines, aber auch die Obdachlosen der Republik sind wahlberechtigt.
27.09.2009
Von Anne Onken und Christina Felschen

[linkbox:nid=3056,2554,3062,3073,3078,3092,3085,3084,3103,3105;title=So waehlt Deutschland ]

Draußen vor der Bahnhofsmission am Berliner Zoo strahlen Merkel und Steinmeier um die Wette: "Wir wählen die Zuversicht", sagt die Plakat-Merkel. Doch sie spricht in hängende Gesichter, aus denen die Zuversicht längst verschwunden ist. Ein untersetzter Mann mit Derrick-Sonnenbrille und Baseball-Cap tritt aus der Reihe der Wohnungslosen, die sich hier Tag für Tag ihre Essensration abholen: "Der Merkel würde ich gerne mal eine Frage stellen", ruft er und wendet sich dem Plakat zu: "Können Sie morgens eigentlich noch in den Spiegel schauen?" Er selbst, Thomas Meyer, sei der "Bürgermeister" der Wohnungslosen. Weil er weiß, wie es sich auf der Straße lebt und seit sechs Jahren Obdachlosen hilft.

Bürgermeister hin oder her, mit der großen Politik habe er nichts zu tun und zur Wahl werde er heute bestimmt nicht gehen. Unglaubwürdig findet er die Kanzlerin: "Opel unterstützt sie, aber die Menschen auf der Straße sind ihr egal."

Christian Block von der Bahnhofsmission kennt das Problem: "Viele unserer Gäste haben andere Sorgen als die Wahl." Zwar hat die Bahnhofsmission Informationsveranstaltungen zur Wahl angeboten und Hilfe angeboten – die Resonanz sei aber gering gewesen.

"Wählen gehen" steht auf einem Schild im sterilen Speiseraum der Bahnhofsmission. Als wenn das so einfach wäre. Theoretisch dürften sie alle zur Wahl gehen, doch wer nirgends gemeldet ist, bekommt auch keinen Wahlschein.

Bernd S. seufzt. Schon drei Wochen vor der Wahl hätte er sich in ein Wählerregister eintragen müssen, doch da war seine Welt noch in Ordnung. Seit fünf Tagen ist er wohnungslos in Berlin, seine Wahlbenachrichtigung liegt in seiner Stuttgarter Ex-Wohnung bei seiner Ex-Freundin. "Immer in der gleichen Schiene" sei sein Leben verlaufen, doch vor einem Dreivierteljahr kündigte ihm die Spedition und vor fünf Tagen setzte ihn seine Freundin vor die Tür. Zum ersten Mal muss seine Stammpartei auf seine Stimme verzichten.

Rund 250.000 Menschen waren nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft für Wohnungslosenhilfe im Jahr 2006 in Deutschland wohnungslos. Wahlberechtigt sind davon rund 210.000, das sind rund 0,3 Prozent der 62 Millionen Wahlberechtigten. Für eine eigene Partei der Wohnsitzlosen würde es also nicht reichen. Doch Martin A. hat eine bessere Idee: Der 25-Jährige würde eine "Wahrheitspartei" gründen, die keine falschen Versprechen macht.