Diskussion um Familienpapier: Die Lebenslagen der Menschen berücksichtigen

Diskussion um Familienpapier: Die Lebenslagen der Menschen berücksichtigen
In einer pluralistischen Gesellschaft muss sich Familienpolitik auch an den vorfindlichen Lebenslagen der Menschen orientieren, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider bei einer Gesprächsrunde zum Familienpapier der EKD in Berlin. Auch die anderen Teilnehmer betonten, man könne die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht ignorieren. Besonders Alleinerziehende bräuchten mehr selbstverständliche Unterstützung.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, fordert mehr Unterstützung für Familien. Für die Zukunft des Landes werde es entscheidend sein, dass die sozialpolitischen Weichenstellungen den Familien gerecht werden, sagte Schneider am Freitag in Berlin. Es sei eine Aufgabe der Politik, die richtigen Rahmenbedingungen für die Zukunft zu setzen.

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Dabei seien soziale Sicherungssysteme ebenso gefragt wie lebendige Nachbarschaften und gesunde Wohnquartiere, sagte er bei einem familienpolitischen Symposium der EKD. Es müsse darum gehen, von der Kinderkrippe bis zur Kurzzeitpflege ausreichende und hochwertige Sorgestrukturen für Familien zu schaffen.

Diakonie-Vorstandsmitglied Maria Loheide sagte, besonders prekär sei die Situation alleinerziehender Mütter und Väter. "Wir müssen uns dafür einsetzen, dass sie ausreichend beachtet werden", betonte sie.

Mehr Zeit für Kinder - und mehr Kinder

Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales, Kerstin Griese (SPD), forderte die Kirche auf, sich dieser Gruppe stärker zuzuwenden. Sie müsse auch auf die alleinerziehende Mutter zugehen, die vor einer Taufe zurückschreckt, sowie die arme Familie, die Beiträge für Jugendfreizeiten fürchtet, sagte sie. Bisher seien Kirchengemeinden sehr durch die bürgerliche Mitte geprägt, sagte Griese, die auch Kirchenbeauftragte der SPD-Fraktion im Bundestag ist.

Der Generalsekretär des katholischen Wohlfahrtsverbandes Caritas, Georg Cremer, unterstrich, der Faktor Zeit müsse in der Familienpolitik eine größere Rolle spielen. Er räumte ein, dass die katholische Kirche das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf lange vernachlässigt habe.

Auch der frühere Abteilungsleiter im Bundesfamilienministerium, Dieter Hackler, sagte, es müsse in der Familienpolitik verstärkt um Zeitverteilung gehen. Gleichzeitig müsse die Förderung aber auch im Blick haben, dass mehr Kinder geboren werden müssten. Es sei inzwischen wahrscheinlicher, eine über 85-Jährige zu treffen als eine unter Dreijährige, sagte Hackler.

In Ostdeutschland werden 61 Prozent der Kinder nichtehelich geboren

Zu Beginn der Tagung ging der Ratsvorsitzende Schneider, der vor wenigen Tagen den vorzeitigen Rückzug aus dem Amt angekündigt hatte, auch auf die umstrittene Orientierungshilfe "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit" ein, die von der EKD vor einem Jahr vorgelegt wurde. In deren Zentrum stehe eine zeitgemäße Familienpolitik, sagte Schneider.

Die evangelische Kirche betone "den Leitbildcharakter von Ehe auch unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und bei neuen Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens". In einer pluralistischen Gesellschaft müsse sich Familienpolitik jedoch auch an den vorfindlichen Lebenslagen der Menschen orientieren. Schneider sagte, dass in Ostdeutschland 61 Prozent der Kinder nichtehelich geboren werden, gefalle ihm "nicht wirklich". Es müsse aber darum gehen, die veränderte Lebenswirklichkeit von Familien hinzunehmen.

Die Orientierungshilfe hatte eine Expertenkommission unter Vorsitz der früheren Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) erarbeitet. Kritik entzündete sich vor allem am Eheverständnis des Papiers: In den Augen der Kritiker entwertet es die traditionelle Ehe zwischen Mann und Frau und belastet die Ökumene.