TV-Tipp des Tages: "Die Spiegel-Affäre" (Arte)

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TV-Tipp des Tages: "Die Spiegel-Affäre" (Arte)
TV-Tipp des Tages: "Die Spiegel-Affäre", 2. Mai, 20.15 Uhr auf Arte
Unter dem Menetekel des Wettrüstens der Supermächte, das 1962 in der Kubakrise eskaliert und die Welt an den Rand eines Atomkriegs führt, fechten zwei exemplarische Männergestalten der Nachkriegszeit eine beinahe archaisch anmutende Fehde aus: der Verteidigungsminister Franz Josef Strauß und der Journalist Rudolf Augstein.

Der Regisseur Roland Suso Richter wird mehr und mehr zum Chronisten der jüngeren Zeitgeschichte. "Die Bubi Scholz Story", "Der Tunnel", "Dresden", "Mogadischu", "Das Wunder von Berlin": ausnahmslos herausragende Werke, mit großem optischen Aufwand erzählt, perfekt besetzt, fesselnd inszeniert. Mit seinem Film über die "Spiegel-Affäre" hat sich Richter erneut übertroffen: weil es ihm nicht zuletzt dank der Vorarbeit von Johannes Betz ("Der Tunnel") gelungen ist, aus einem im Grunde trockenen Stoff einen packenden Polit-Thriller zu machen.

Das Feindbild

Natürlich funktioniert das auch deshalb, weil Betz’ Drehbuch, an dem Produzentin Gabriela Sperl und der frühere "Spiegel"-Chef Stefan Aust mitgearbeitet haben, den Konflikt personell zuspitzt: hier der streitbare Chefredakteur Rudolf Augstein, der sein Magazin als "Sturmgeschütz der Demokratie" sieht, dort Franz Josef Strauß, machtbesessen und skrupellos. Für Augstein wird der Bayer, der die Bundesrepublik rund 15 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieg zur Atommacht aufrüsten will, zum Feindbild schlechthin. Strauß, damals Verteidigungsminister, lässt seinerseits die komplette Führungsriege des "Spiegel" wegen Landesverrats verhaften, nachdem Conrad Ahlers in seinem berühmten Artikel "Bedingt abwehrbereit" beschrieben hat, dass die Vorbereitungen der Bundesregierung für den "Ernstfall" völlig ungenügend seien. Durch die Kuba-Krise stand die Welt im Oktober 1962 am Rand eines atomaren Krieges, aber die Deutschen gingen zu Tausenden für den "Spiegel" und damit für die Pressefreiheit auf die Straße.

Der Film ist bis in kleinste Nebenrollen hinein ausgezeichnet besetzt. Trotzdem steht und fällt das Drama naturgemäß mit den beiden Protagonisten, und da haben Richter und Sperl zwei echte Überraschungen zu bieten. Die Entscheidung, die Rolle Augsteins Sebastian Rudolph zu geben, ist durchaus mutig; nicht in handwerklicher Hinsicht, er ist immerhin Theaterschauspieler des Jahres 2012, aber dem TV-Publikum ist er praktisch unbekannt. Ein Knüller ist jedoch Francis Fulton-Smith als Franz Josef Strauß, immerhin kennt man den TV-Star vor allem aus leichten Produktionen wie der ARD-Serie "Familie Dr. Kleist". Ohne den Politiker zu imitieren, wird der gebürtige Münchener dem polternden und schwitzenden Strauß auf imponierende Weise gerecht; und das keineswegs bloß mundartlich, sondern gerade in den Reden auch vom Sprachduktus her. Körperhaltung und -umfang kommen dem früheren bayerischen Ministerpräsidenten gleichfalls sehr nahe. Rudolph ist zudem von einem großartigen Ensemble umgeben (David Rott, Franz Dinda, Johann von Bülow Max Hopp). Frauen wirken zwar auch mit, dienen der Zeit entsprechend jedoch nur der Dekoration (Gesine Cukrowski als Augsteins Gattin, Nora von Waldstätten als seine Geliebte).

Buchstäblich sehenswert aber wird der Film durch das visuelle Konzept. Es gelingt Richter und Kameramann Clemens Messow, trotz moderner und zum Teil unkonventioneller Kameraführung ein Gefühl für die Zeit zu vermitteln, ohne die Authentizität in den Vordergrund zu stellen; was wiederum fast etwas schade ist, weil Produktionsdesign (Knut Loewe) und Kostümbild (Frauke Firl) exzellente Arbeit geleistet haben. Dass die Inszenierung trotz der überwiegenden Innenaufnahmen viel Dynamik entwickelt, ist nicht zuletzt den mit zwei Kameras gedrehten Ensembleszenen zu verdanken. Selbst wenn die Arbeit nicht schon allein inhaltlich von großer Bedeutung wäre, weil die Handlung von einem der wichtigsten Wendepunkte der deutschen Demokratie erzählt: Darstellung und Bildgestaltung sind ein Ereignis. Als Würdigung des unabhängigen Journalismus’ ist "Die Spiegel-Affäre" im gleichen Atemzug zu nennen wie Alan J. Pakulas Watergate-Klassiker "Die Unbestechlichen".