Filmkritik der Woche: "Grand Budapest Hotel"

Foto: epd/Fox Searchlight Pictures
Filmkritik der Woche: "Grand Budapest Hotel"
Ein unvergesslicher Aufenthalt: Noch mehr als seine vorangegangenen Filme schwelgt Wes Andersons neues Werk "Grand Budapest Hotel" in überbordendem Reichtum an Ideen, Figuren und berückenden Bildern. Und es bietet doch etwas mehr als nur einen Trip ins Reich des Skurrilen.
05.03.2014
epd
Patrick Seyboth

Ganz falsch lag der Regisseur nicht, als er in einem Interview vor der Premiere von "Grand Budapest Hotel" als Eröffnungsfilm der Berlinale die Befürchtung äußerte, viele Zuschauer könnten während des Films hin und wieder das Bedürfnis haben, nochmal zurückzuspulen, da er eine solche Fülle an Material und Details eingearbeitet hat. Tatsächlich legt der Film ein enormes Tempo vor und serviert in rasanter Abfolge so viele Einfälle, dass andere Filmemacher vielleicht fünf abendfüllende Werke daraus bauen würden.

Auch die Besetzungsliste erinnert an Mammutwerke wie "Der längste Tag": Neben Andersons Stammschauspieler Bill Murray spielen Ralph Fiennes, Adrien Brody, Saoirse Ronan, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Léa Seydoux, Harvey Keitel, Jude Law, Edward Norton und Tilda Swinton. In mehrfacher Verschachtelung präsentiert Wes Anderson einen Autor (Law), der uns von seiner Begegnung mit dem geheimnisumwitterten Besitzer des Grand Budapest Hotel (F. Murray Abraham) berichtet, welcher dann wiederum anhebt, von dessen großen Zeiten zwischen den Kriegen zu erzählen: In den Bergen der osteuropäischen Republik Zubrowka gelegen, tummeln sich im edlen Kurhotel Anfang der 30er die reichen Exzentriker.

Im Mittelpunkt des Treibens sorgt der legendäre Concierge Monsieur Gustave (Fiennes) dafür, dass das Personal die Wünsche der Gäste erkennt, noch bevor diese sie aussprechen. Er selbst geht mit leuchtendem Beispiel voran, indem er amouröse Beziehungen zu den weiblichen Gästen unterhält, besonders, wenn diese sehr blond und sehr alt sind.

Als eine dieser Damen (Swinton) stirbt und dem Concierge ein millionenschweres Gemälde vermacht, erzürnt dies insbesondere ihren Sohn Dmitri Desgoffe-und-Taxis (Brody). Gustave wird verdächtigt, die Erblasserin ermordet zu haben, und inhaftiert. Sein treuer Lobby Boy Zero (Tony Revolori) will ihn befreien. Doch trotz tatkräftiger Unterstützung bleibt ihm Dmitris skrupelloser Scherge Jopling (Dafoe) auf den Fersen, was unter anderem in einer furiosen Verfolgungsjagd durch die verschneite Bergwelt kulminiert.

Diese Szene ist wie einige andere eine wunderbare Bastelarbeit aus zeitgemäßen visuellen Effekten und zeitlosen Stop-Motion- und Miniaturelementen. Doch im Grunde ist jedes Bild von "Grand Budapest Hotel" ein Genuss. In kunstvollen, häufig symmetrischen Kompositionen schwelgt die Kamera in Dekor und Kostümen. Görlitz, neben Babelsberg wichtigster Drehort der amerikanisch-deutschen Koproduktion, verkörpert idealtypisch eine europäische Vergangenheit, die es derart malerisch wohl nie gegeben hat.

Die Zeichen des Unheils mehren sich

Anderson schlägt aber auch unerwartet düstere Akkorde an. Im anfangs bonbonbunten kaiserlichen und königlichen Operettenstaat mehren sich die Zeichen des Unheils. Ein Krieg zieht herauf. Zuerst beiläufig geraten ominöse "ZZ"-Abzeichen ins Bild, die SS-Runen ähneln und dann immer präsenter werden - die "Zig-Zag-Brigaden" sind in Zubrowka auf dem Vormarsch. Mit ihnen dominieren bald das Grau der Uniformen und brutale Sitten.

Auch als der Film den zuvor stets so adretten Concierge Gustave zum ersten Mal im Gefängnis zeigt, löst sein Anblick ungute Assoziationen aus: Fahl und von Misshandlungen gezeichnet, nähert er sich langsam der Kamera - ein Bild, das man eher in einem KZ-Drama denn in einer Komödie erwarten würde.

Die traumhafte, exzentrisch-freizügige Welt des Grand Hotels infiziert Anderson mit Anspielungen auf reales historisches Grauen - ohne dass der Film deshalb zynisch wirkt. Die Werte, die der kultivierte Concierge verkörpert und verteidigt - nämlich Stil, Anstand und Sinnenfreude - sind dem Untergang geweiht. Die Zeit der Barbaren bricht an, schillernd verkörpert von Adrien Brody als skrupellosem Schreibtischtäter Dmitri und Willem Dafoe als seinem Henker Jopling.

Unter der Verspieltheit von Andersons Welt lauert diesmal eine tiefe Trauer angesichts der Katastrophen der Geschichte. Der Schwung leidet allerdings nicht darunter, eher noch scheint er eine trotzige Energie daraus zu ziehen. Vielleicht ist das Grand Budapest Hotel daher weniger ein nostalgischer denn ein utopischer Ort.

USA, Deutschland 2014. Regie: Wes Anderson. Buch: Wes Anderson, Hugo Guinness. Mit: Ralph Fiennes, Jude Law, Tilda Swinton, Edward Norton, Adrien Brody, Owen Wilson, Saoirse Ronan, Léa Seydoux, Jeff Goldblum, F. Murray Abraham. Länge: 100 Minuten. FSK: ab 6 Jahre.