Landminenopfer und Model

Foto: Thinkstock/iStockphoto/Amanda Lewis
Ein Schild warnt vor Landminen in Kambodscha.
Landminenopfer und Model
Fröhlich geht Kanha Theng auf die Gruppe aus Deutschland zu, mit der sie sich auf dem Gelände der "Rany Hun Sen High School" in der kambodschanischen Stadt Memot verabredet hat. Kanha lächelt ein wenig verlegen, so wie es vierzehn Jahre alte Mädchen, die auf der Grenze zwischen Kindheit und Jugend stehen, überall auf der Welt tun. Sie hinkt leicht und genau das ist der Grund für den Besuch von Vertretern von Handicap International (HI) und Mario Galla, der in der Modewelt als Model mit Prothese für Furore sorgt.

Kanha gehört zu jenen vielen zehntausend kambodschanischen Landminenopfern, die durch HI-Projekte eine Prothese erhalten haben und so wieder ein weitgehend normales Leben leben führen können. Die Schülerin in der rosafarbenen Hose und dem orangen Top war sechs, als sie durch eine Minenexplosion ihr Bein verlor.

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Auch Galla ist ein wenig verlegen. Der mit einer Oberschenkelverkürzung geborene Hamburger ist erstmalig in einem bitterarmen asiatischen Entwicklungsland. Die nach der Gattin von Premierminister Hun Sen benannten staatliche Schule ist so ganz anders als eine Schule in Deutschland. Die nur spärlich mit Gras bewachsene Erde des Schulhofs ist übersät mit Plastikmüll. Die sengende Hitze hat den Boden ausgetrocknet. Jeder Schritt wirbelt Staub auf. Die Klassenzimmer sind mit alten Holztischen und -bänken möbliert, die Wände kahl und die Fenster ohne Glas.

Die anfängliche Befangenheit auf beiden Seiten lockert sich schnell, als sich der über 1,80 Meter große Galla neben die zierliche Kanha auf eine kleine Schulbank zwängt. Kanha lacht, ihre Mitschüler kichern. Der blonde Hüne bittet das Mädchen zu erzählen, was passiert ist. Mit einem Schlag wird der sonst so fröhliche Teenager ernst. "Ich kam von der Toilette als ich plötzlich einen großen Knall hörte und schwarzen Rauch gesehen habe. Mehr weiß ich nicht mehr", erzählt sie leise. Die Explosion hatte ihr Vater ausgelöst, als er mit einem Hammer den Sprengstoff aus der Mine lösen wollte um ihn beim Fischen einzusetzen. Der Mann kam durch die Explosion ums Leben.

Mario Galla und Kanha Theng.

Die Mutter brachte Kanha erst in die Ambulanz von Memot, dann in das Krankenhaus im 90 Kilometer weit entfernten Kampong Cham. Ihr rechter Unterschenkel musste amputiert werden. Ein paar Monate später erhielt das Mädchen die erste von bisher sieben Prothesen. "Ich wachse halt schnell", sagt Kanha mit einer Selbstverständlichkeit, mit der ihre Altersgenossinen in Deutschland über Zahnspangen plaudern. Ist sie wütend über ihr Schicksal? "Ach nein", sagt sie. "Darüber denke ich nicht nach." Zumal sie nicht die einzige mit Prothese ist. Zwar sind in ihrem Freundeskreis keine weiteren Landminenopfer, aber einige haben Gliedmaßen durch Verkehrsunfälle verloren. Das ist in Kambodscha keine Seltenheit.

Auch Jahrzehnte nach Ende des Vietnamkriegs sind in Kambodscha weite Landstriche noch mit Antipersonenminen, Antipanzerminen und sonstigen Blindgängern verseucht. Die USA warfen während des Vietnamkrieges 26 Millionen Bomben über Kambodscha ab. Geschätzt 1,9 bis 5,8 Millionen Bombenblindgänger stellen noch heute für die Bevölkerung eine lebensgefährliche Bedrohung dar. Besonders stark bombardiert wurde Kanhas Heimat im Osten Kambodschas. 

Roten Khmer legten viele Minen

Auch die Terrorherschaft der Roten Khmer machte umfassend Gebrauch von Anti-Personen-Minen, wie auch die Regierung und diversen Milizen danach. Berühmt-berüchtigt ist der 1.046 Kilometer lange K5-Minen-Gürtel im Westen Kambodschas an der Grenze zu Thailand. Auf jeden Kilometer des Gürtels kommen 2.400 explosive Einheiten.

Mit der Unterstützung von Handicap International klärt der Minenräumorganisation Cambodian Mine Action Center (CMAG) die Dorfbewohner von Menchey über die Gefahren von Landminen auf.

Laut dem Ottawa-Abkommen gegen Antipersonenminen soll Kambodscha bis 2019 frei von Minen sein. "Das Ziel erreichen wir nicht", sagt freimütig Heng Ratana, Chef der Minenräumorganisation Cambodian Mine Action Center (CMAG). "Wir schaffen rund 100 Quadratkilometer pro Jahr. Aber es sind noch 2.000 Quadratkilometer zu untersuchen und zu räumen." 166 Staaten haben den Vertrag von Ottawa seit seinem Inkrafttreten am 1. März 1999 unterzeichnet. Von 34 Ländern – darunter die USA, China, Russland, Indien, aber auch Nord- und Südkoreakorea, Israel, Vietnam und Birma – fehlt fünfzehn Jahre später noch immer die Unterschrift unter dem Abkommen.

Aber es gibt auch Erfolgsmeldungen. Wurden 1990 jeden Monat 200 Kambodschaner Opfer von Minenunfällen, waren es im ganzen Jahr 2013 weniger als 200 Fälle. In weiten Teilen des Landes wurden und werden Minen geräumt. Aufklärung über die Gefahren und auch die über Jahrzehnte immer weder verbesserte Minensuch- und -räumtechnologien tragen zur Abnahme der Zahl von Minenunfällen bei.

Galla unterstützt die Arbeit von Handicap International (HI) in Deutschland seit 2012 als eines der Gesichter der Kampagne "Zeig dein Bein". In Kambodscha besuchte Galla Anfang Februar HI-Projekte vor Ort, traf Aktivisten der Kampagne gegen Landminen und begegnete Landminenopfern, die Handicap International unterstützt. "Mit der Reise möchten wir die Öffentlichkeit für das Landminenproblem sensibilisieren und zeigen, wie wichtig die Unterstützung der von explosiven Kriegsresten betroffenen Menschen auch Jahre nach den Konflikten und dem Völkermord bleibt", sagt HI-Sprecherin Eva Maria Fischer.

Kanha will bald Moped fahren

HI wurde vor über 30 Jahren in den Flüchtlingscamps der Khmer aus Kambodscha in Thailand geboren. 1987 begann die Organisation ihre Arbeit in Kambodscha mit der Organisation von Kampagnen gegen Landminen, dem Aufbau von physischen Rehabilitationszentren für Opfer von Unfällen mit Landminen als auch für andere Menschen mit Behinderungen sowie Aufklärungskampagnen über Landminen.

Die  Lebenswirklichkeiten von Galla und Kanha sind höchst unterschiedlich: Er ist ein erfolgreiches Model in Europa, sie ist eine Schülerin mit vielen Träumen, aber wenig Perspektiven im armen Land. Dennoch gibt es auch Gemeinsamkeiten: Wie Galla steht Kanha fest mit beiden Beinen im Leben, sieht sich nicht als eine auf Hilfe und Mitleid angewiesene Behinderte. "Ich kann alles machen", sagt die 14-Jährige bestimmt und erzählt freudig, dass sie bald alt genug sein wird, um Moped zu fahren. Galla modelt, treibt Sport, geht mit seiner Freundin tanzen. Das Model und das Mädchen teilen aber auch die weniger angenehmen Aspekte des Lebens mit einer Prothese. "Manchmal wird der Stumpf wund und es bilden sich Blasen. Das ist sehr schmerzhaft", erzählt Kanha. Eine Erfahrung, die auch Galla mit seiner Hight-Tech-Carbon-Prothese macht. "Das kenne ich auch", sagt er ruhig.

Einsatz für Behinderte kam erst mit der Prothese

Vor seiner Karriere als Model wäre es Galla nie in den Sinn gekommen, sich für Behinderte einzusetzen. "Ich wurde nie ausgegrenzt und diskriminiert." Erst seit er als Model mit Prothese berühmt ist, für große Modelabels wie Michalsky oder Hugo Boss auf dem Laufsteg posiert und ihm, dem Promi, viele Menschen mit Behinderungen geschrieben hätten, habe er zögerlich die Rolle als "Posterboy" für die Sache der Behinderten angenommen. "Ich will nicht in eine Schublade gesteckt werden. Aber wenn ich so was mache, dann muss ich hundertprozentig dahinter stehen", sagt der Star ohne Allüren über sein Engagement für HI.

Am Ende der Reise ist Galla - nach dem Besuch des Reha-Zentrums in Kampong Cham und des Landminenmuseums in Siem Reap, dem Erlebnis einer Minenräumung in Menchey und der Begegnung mit Tun Channareth, der 1997 für die Anti-Landminen-Kampagne den Friedensnobelpreis entgegennahm - sehr nachdenklich.  Auf die Frage, was ihn am meisten bewegt hat, sagt Galla auf der kühlen Veranda eines Hotels in Siem Reap: "Das ist schwer zu sagen. Ich muss das alles erst verarbeiten. Aber sehr beeindruckt haben mich die Menschen mit ihrem extremen Lebensmut." Insbesondere Kanha. "Mit sechs Jahren ein Bein und den Vater zu verlieren ist hart. Trotzdem immer wieder, auch für Kampagnen von HI, darüber zu sprechen, ist bewunderswert. Ich spreche auch öffentlich über meine Behinderung. Aber das ist anders, weil ich damit kein traumatisches Erlebnis verbinde. Also die Kanha hat mich schon sehr beeindruckt und berührt."