Kinder sollten ein wenig mehr Pippi sein

Illustration von Pippi Langstrumpf mit Pferd
The Astrid Lindgren Company/Ingrid Vang Nyman/Oettinger Verlag
Pippi Langstrumpf ist für die Freiburger Pädagogikprofessorin Maike Rönnau-Böse ein gelungenes Beispiel dafür, wie Kinder gut mit Schicksalsschlägen umgehen könnten.
Kinderbuch-Klassiker wird 80
Kinder sollten ein wenig mehr Pippi sein
Auch mit 80 Jahren ist Pippi Langstrumpf weltweit beliebt. Die Heldin aus den Astrid-Lindgren-Klassikern bricht mutig mit Konventionen und zeigt, wie Kinder widrigen Lebensumständen trotzen können - fröhlich und ein bisschen frech.

Pippi Langstrumpf ist stark, mutig, fantasievoll und liebenswert. Auch nach 80 Jahren bleibt die Kinderbuchheldin mit den roten abstehenden Zöpfen und den vielen Sommersprossen einzigartig und weltweit bekannt. Erfunden wurde die fröhlich-freche und abenteuerlustige Göre von der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren (1907-2002) während des Zweiten Weltkriegs. Vor 80 Jahren wurde die Geschichte erstmals veröffentlicht.

Gemeinsam mit Äffchen und Pferd zieht die neunjährige Pippi in die Villa Kunterbunt - ohne Mutter und Vater, aber mit einem Koffer voller Goldstücke. Die sympathisch-chaotische Heldin vermittelt ihren Leserinnen und Lesern Zuversicht, Freude, Trost und neue Perspektiven. Trotz ihrer Superheldinnen-Kräfte geht es bei ihr um auch den richtigen Umgang mit Macht und um Fairness: "Wer stark ist, muss auch gut sein", erklärt Pippi, deren vollständiger Name "Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf" lautet. Sie handelt unabhängig von Erwachsenen und tut alles für ihre Freunde Tommi und Annika.

Pippi habe einen sehr feinfühligen Blick auf die Bedürfnisse von Kindern und sorge dafür, dass Schwächere gesehen würden, sagt die Freiburger Pädagogikprofessorin Maike Rönnau-Böse. Für sie ist das Mädchen, deren Mutter gestorben ist, ein gelungenes Beispiel dafür, wie es Kindern gelingen kann, gut mit Schicksalsschlägen umzugehen. Pippi gehe Freundschaften ein, entwickle Problemlösungsstrategien und vertraue in ihre eigenen Fähigkeiten, sagte Rönnau-Böse dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dies seien keine "Zauberkräfte", sondern Eigenschaften, die jedes Kind entwickeln könne.

Erstausgabe von Pippi Langstrumpf (Rabén & Sjoegren) aus dem Jahr 1945.

Lindgren schickte das Manuskript für das Buch an einen Verlag mit den Worten: "In der Hoffnung, dass Sie nicht das Jugendamt alarmieren." Das passierte nicht. Befürchtet wurde aber ein negativer Einfluss auf Kinder. Erst in einer überarbeiteten Version erschien "Pippi" erstmals am 26. November 1945 im Verlag Rabén & Sjögren. Fünf deutsche Verlage lehnten das Buch ab, bevor der Hamburger Verleger Friedrich Oetinger es 1949 nach Deutschland holte.

Das köstlichste Kinderbuch der Welt

Die bibliothekarische Fachzeitschrift "Bücherei und Bildung" hielt im August 1950 das Buch für nicht geeignet für Kinder unter 14 Jahren. Die Grenzen von Fantasie und Wirklichkeit würden so verwischt, "dass Kinder verwirrt werden müssen", hieß es. Dagegen lobte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" im selben Jahr: "Da müssen die Schweden daherkommen und uns zeigen, wie man das köstlichste Kinderbuch der Welt macht."

Astrid Lindgren und ihre Tochter Karin, 1948. Eines Abends fragte Karin: "Erzähl mir von Pippi Langstrumpf" und erfand in diesem Moment eine der bekanntesten Kinderbuchfiguren der Welt. "Weil es ein seltsamer Name war, wurde es auch ein seltsames Mädchen", sagte Astrid Lindgren.

Den offiziellen Pippi-Langstrumpf-Geburtstag feiert der Oetinger Verlag auch in diesem Jahr am 21. Mai, dem Geburtstag von Astrid Lindgrens Tochter Karin Nyman. Für sie hatte sich Lindgren die Geschichte ausgedacht. Diskussionen gab es vor einigen Jahren über die Figur ihres Vaters Kapitän Langstrumpf, der "Südseekönig" auf der Taka-Tuka-Insel ist. Auch nach Streichung des N-Wortes aus der Originalversion merkte Olenka Bordo in einem Beitrag für die Heinrich-Böll-Stiftung kritisch an, die Beschreibung seiner Rolle stelle Dominanzverhältnisse im kolonialen Zusammenhang als Normalität dar.

Pippi-Bände wurden 66 Millionen Mal verkauft

Die drei Pippi-Bände wurden verfilmt, in 80 Sprachen übersetzt und 66 Millionen Mal verkauft - davon allein in Deutschland 8,6 Millionen Mal. Zum Jubiläum ist das Buch ins Nigerianische Pidgin übersetzt worden - als 80. Sprache. Das stärkste Mädchen der Welt ist auch unter den Namen Pippi Tat Dai (Vietnam), Pipi Pikksukk (Estland), Fifi Brindacier (Frankreich), Nagakutsushita no Pippi (Japan) oder Pippi Longstocking (USA) bekannt. Wer mag, kann die Geschichten auf Schottisch-Gälisch, Schlesisch und Elsässisch lesen.

"Ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt", heißt es in einem der Pippi-Langstrumpf-Lieder. Michelle Obama sagte einmal der "New York Times", sie habe nicht nur Pippis körperliche Stärke, sondern auch deren Souveränität bewundert: "Was ich am meisten liebte, war, dass sie ein Mädchen war, und ein wenig anders, und trotzdem die beeindruckendste Figur in diesen Büchern." Und Autorin Cornelia Funke findet: "Pippi hat uns schon als kleine Mädchen beigebracht, dass Frauen einfach alles können."

Der deutsch-schwedische Autor Micke Bayart beschreibt Pippi als "Machtmensch der guten Art". Sie sei der lebende Beweis dafür, "dass man niemals zu klein ist, um großartig zu sein und im allerbesten Sinne Regeln zu brechen", schreibt er in seinem Buch "Als Pippi nach Deutschland kam" (Oetinger 2025).

"Sei mehr Pippi" rät auch die Astrid Lindgren Company. Das schwedische Unternehmen verwaltet alle Rechte an Astrid Lindgrens Werk. Anlässlich des Jubiläums sollten sich Leserinnen und Leser auf die Seite der Schwachen gegen Tyrannen und Machtmissbrauch stellen: "Pippi zeigt uns, dass wir immer die Möglichkeit haben, unseren Mitmenschen zu helfen und die Welt ein Stück besser und gerechter zu machen."