Inklusion: Neue Wege in die Arbeit

Foto: Thomas Kroeger
Lars Radon, 24 Jahre alt, arbeitet als Logistikmitarbeiter.
Inklusion: Neue Wege in die Arbeit
Für Menschen mit Behinderung ist es nicht einfach, einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Aber viele von ihnen möchten gerne eine Tätigkeit jenseits der geschützten Welt der Werkstätten für Behinderte ausüben. Ganz im Sinne der Inklusion, die in Deutschland mittlerweile als gesellschaftliches Ziel verankert ist. Doch dafür benötigen diese Menschen Unterstützung.

Lars Radon holt sein wichtigstes Arbeitsgerät, den Scanner, und scannt die Nummer einer ankommenden Palette mit verpackten Autoteilen. Dann sucht er das passende Regal, wo bereits andere Teile für diesen Kundenauftrag lagern. Die richtige Stelle zu finden, ist gar nicht so einfach, denn in der Packabteilung der Hans Hess Autoteile GmbH in Köln gibt es viele lange Regalreihen. Dazwischen lagern Paletten, stehen Packtische, herrscht eine rege Betriebsamkeit.

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Radon, 24 Jahre alt, arbeitet hier als Logistikmitarbeiter. Er hat das Asperger Syndrom, also eine Form von Autismus, auch wenn das auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist. Er wirkt eher schüchtern, redet ein bisschen nuschelig, erklärt aber engagiert die Arbeitsvorgänge. Oft lächelt er verschmitzt. Die Atmosphäre in der Lagerhalle ist freundlich, man grüßt sich. Wie Radon es ausdrückt: "Hier kriegt sich keiner in die Haare." Er komme jeden Morgen richtig gerne zur Arbeit, sagt er.

Das Kölner Unternehmen bietet Radon seit November 2013 ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis, also einen regulären Arbeitsplatz. Dem Arbeitgeber ist es wichtig, dass er die Tätigkeiten im Rahmen seiner Aufgaben korrekt ausführt. Es darf ein bisschen länger dauern, dafür bekommt das Unternehmen einen finanziellen Ausgleich vom Arbeitsamt, doch die Abläufe müssen funktionieren. Denn, so meint Radons Vorgesetzter Marko Meinhold, die Arbeitsgebiete seines Mitarbeiters seien zwar überschaubar, aber keineswegs ohne Verantwortung.

Für Menschen mit Behinderung ist es schwierig, in der freien Wirtschaft Fuß zu fassen. Im Oktober 2013 waren nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit 176.000 Menschen mit Behinderung arbeitslos. Dabei gelingt es Menschen mit Behinderung auch bei vergleichbaren Qualifikationen seltener eine Arbeitsstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden als Arbeitssuchenden ohne Einschränkungen.

Der "Zahlenfanatiker" zeigt Eigeninitiative

Als Autoteile Hess 2012 den Paketversand als neues Geschäftsfeld aufbaute, hatte man sich entschieden, verstärkt Menschen mit Behinderung einzubeziehen. Dort ist jetzt die sogenannte Integrationsabteilung angesiedelt, in der Radon arbeitet. "Abteilung" ist aber keinesfalls räumlich zu verstehen: es gibt keine Wände hin zu den nicht-behinderten Arbeitnehmern. Es heißt lediglich, dass die bürokratischen Hürden für bestimmte Zuschüsse, wie den Minderleistungsausgleich, abgesenkt sind. Meinhold hat diese Abteilung mitaufgebaut und ist derzeit recht zufrieden. An Herrn Radon schätzt er, dass er auf Details achte und für sich den Anspruch habe, sehr genau zu sein. Dass er "nicht nur flach einen Ablauf durchzieht." Er zeige auch Eigeninitiative.

Lars Radon bei der Arbeit im Köln, bei der Firma Hans Hess Autoteile.

Radon schätzt sich selbst ähnlich ein; so erklärt er selbstbewusst, wie er ein neues Aufgabenfeld, das Nachhalten der Kartonagen, ergattert hat. Da es manchmal zu Verzögerungen kam, wenn nicht die passenden Kartonagen zur Verpackung bereitstanden, füllt er diese nun immer rechtzeitig wieder nach. Als "Zahlenfanatiker" habe er für solche Dinge einen Blick. Probleme anzugehen, das habe er in seiner Ausbildung in einem Schreibwarenhandel gelernt.

Radon bekam eine Chance

An dieser Stelle kommen für Radon zwei weitere wichtige Akteure ins Spiel: Bürobedarf-Heinrichs in Köln-Lindenthal, wo man seiner betrieblichen Ausbildung eine Chance gegeben hat. Und Füngeling Router, der ihn gewissermaßen direkt nach dem Beenden der Förderschule mit Hauptschulabschluss an die Hand genommen hat und bis heute begleitet. Die gemeinnützige Füngeling Router GmbH, ein "Integrationsdienstleister", versteht sich als Mittler für Menschen mit Behinderung, der individuelle Wege sucht, diese Personen in Arbeit zu bringen.

Die Geschäftsführerin von Füngeling Router, Monika Labruier, sieht für Jugendliche wie Radon in einer betrieblichen Ausbildung einen gewaltigen Vorteil. In der Praxis könne man "lernen zu arbeiten", auch Stress auszuhalten. Eine überbetriebliche Ausbildung könne das nicht leisten. Dafür bedarf es allerdings einer sogenannten "aufsuchenden Hilfe", also einem Arbeitstrainer vor Ort. So kam ein Trainer von Füngeling Router regelmäßig stundenweise zu Radon in den Schreibwarenhandel. Diese Form der Unterstützung war damals noch recht neu und für Füngeling Router gewissermaßen ein Modellprojekt.

Neben diesem Ausbildungscoaching bietet der Integrationsdienstleister für Menschen mit einer Störung im Bereich des Autismus-Spektrums, wie es offiziell heißt, ein Gruppenangebot, das gemeinsam mit der "Autismus-Sprechstunde" der Kölner Uniklinik aufgebaut wurde. Auch hier war Radon der erste Teilnehmer. Sechs junge Menschen lernen hier unter Anleitung einer Psychologin mit Alltagssituationen in der Arbeitswelt zurechtzukommen.

Kontinuität bei Betreuung ist wichtig

Neue Wege in die Arbeit, das heißt für Monika Labruier auch, dass Menschen mit Einschränkungen nicht einfach auf Institutionen wie die Werkstätten für Menschen mit Behinderung oder überbetriebliche Ausbildungen verteilt werden. Sie wünscht sich einen "Koffer mit individuellen Unterstützungsmöglichkeiten", wie etwa die der "aufsuchenden Hilfen" oder die integrative Arbeitnehmerüberlassung, einer Art Leiharbeit für Menschen mit Behinderung. Als Arbeitgeber fungiert dabei der Integrationsdienstleister. Darüber hinaus sei es entscheidend, dass Menschen nachhaltig betreut werden, ihnen also eine Kontinuität für ihren Arbeitsweg geboten wird.

Für Radon hat die individuelle Begleitung geklappt, er ist gewachsen. Bei Autoteile Hess benötigt er kein Arbeitstraining am Arbeitsplatz. Darauf ist er stolz, auch auf das selbst verdiente Geld. Monika Labruier sagt: "Inklusion geglückt".