Tacheles: Zwischen Lust und Sünde – Prostitution verbieten?

Jens Schulze, Hannover
Gäste der "Tacheles"-Diskussion mit Moderator Jan Dieckmann (Mitte).
Tacheles: Zwischen Lust und Sünde – Prostitution verbieten?
"Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr", sagte Jesus zu den Hohepriestern und den Ältesten des Volkes Israel. Trotzdem ist die Hure im Christentum lange der Inbegriff der Sünde gewesen. Heute reicht die Diskussion um das Thema weiter. Mit seinen Gästen diskutierte Jan Dieckmann in der evangelischen Talkshow "Tacheles", ob man Prostitution verbieten sollte. Die Sendung wird an diesem Sonntag und in der Nacht zu Montag wiederholt.

Über Prostitution zu diskutieren, ist wahrlich keine einfache Aufgabe. Es gibt nicht nur unterschiedliche Vorstellungen davon, wie moralisch es ist, für Sex zu bezahlen oder seinen Körper für Geld anzubieten. Auch wenn es um die reine Statistik geht, gehen die Darstellungen weit auseinander. Wie viele Prostituierte in Deutschland gibt es? Wie groß ist der Anteil derer, die wirklich freiwillig als Sexarbeiterinnen tätig sind? Belastbare Zahlen gibt es dazu nicht. Trotzdem hat sich die evangelische Talkshow "Tacheles" an das Thema gewagt. Gemeinsam mit seinen Gästen diskutiert Moderator Jan Dieckmann die Frage, ob Prostitution verboten werden sollte.

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Im Alten und Neuen Testament tritt die Figur der Hure mehrfach auf – die Hure Rahab, deren Glaube sie erlöst, wird namentlich genannt. "In der Bibel ist sie der Inbegriff der Sünde", sagt Dieckmann. Eine Ansicht, die Susanne Kahl-Passoth, Theologin und langjährige Chefin der Berliner Diakonie, heute nicht mehr teilen will. Das Bild der Frau habe sich seit der Niederschrift der Bibel geändert. Das gelte auch für die Prostitution. Allerdings gäbe es Bereiche der Prostitution, in der ein Mensch sündigen kann – etwa wenn ein Freier mit einer Frau schläft, die Opfer von Menschenhandel ist. "Das verletzt die Würde der Frau", sagt Kahl-Passoth.

"Sexualität ist keine Ware"

Dennoch hält die Theologin das Prostitutionsgesetz aus dem Jahr 2002, das die Sexarbeit aus der Sittenwidrigkeit herausholte, für einen wichtigen Schritt. Von einem Verbot würden vor allem Menschenhändler und Zuhälter profitieren, weil sich die Frauen dann in einem unsicheren rechtsfreien Raum bewegten.

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Eine Auffassung, die Chantal Louis, Redakteurin bei der Zeitschrift "Emma" nicht teilen kann: "Sexualität ist keine Ware. Ich tue mich deshalb schwer, von einer Dienstleistung zu sprechen." Die Journalistin hat viel im Rotlichtmilieu recherchiert und ist dort vielen Armutsprostituierten begegnet, die aus sozialer Not ihren Körper verkaufen. Sie ist überzeugt, dass sich der Prostitutionsmarkt durch die Gesetzesänderung vergrößert hat und fordert ein Verbot der Prostitution.

Hier hält der Grünen-Politiker Volker Beck dagegen: Wenn sich ein Mensch aus freien Stücken dazu entscheidet, seinen Körper zu verkaufen, müsse man das respektieren. Das Problem liege im Bereich des Menschenhandels und der Armut. Davon seien aber beispielsweise auch Menschen betroffen, die als illegale Pflegekräfte Haushalte unterstützen. An dieser Stelle müsse die Politik ansetzen. "Wenn wir einfach nur die Prostitution verbieten, sind die Verbrecher nicht weg und die Armut auch nicht." Ein Verbot mache es außerdem schwieriger, Frauen zu erreichen und sie über ihre Rechte aufzuklären.

Freiwilligkeit und Zwang

Dass keine Frau zur Prostitution gezwungen werden darf – sei es, weil Menschenhändler und Zuhälter sie zwingen oder weil finanzielle Nöte sie dazu bringen – war in der Diskussionsrunde unbestritten. Hitzig wurde die Debatte jedoch immer dann, wenn es darum ging, wie hoch der Anteil der Frauen ist, die betroffen sind. Mit Johanna Weber nahm auch eine Prostituierte an der Diskussion teil, die dem Beruf ganz bewusst nachgeht. Die Akademikerin hätte eine Alternative gehabt – sie arbeitete als Führungskraft im Marketingbereich eines großes Konzerns. Doch der Job sei ihr zu "unkreativ" gewesen.

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Heute arbeitet sie als Domina. 2013 gründete sie einen Berufsverband, der erreichen will, dass sexuelle Dienstleistungen als Beruf anerkannt werden. Sie sei, erzählt Weber, viel durch Deutschland gereist und hätte mit Prostituierten aus allen Bereichen gesprochen. "Natürlich gibt es Missstände – aber viele arbeiten freiwillig in diesem Beruf." Der Kriminologe Christian Pfeiffer ist misstrauisch: "80 bis 90 Prozent kommen aus osteuropäschen Ländern und werden ausgebeutet ohne, dass die Polizei große Chancen hat, was dagegen zu unternehmen." Eine  Zahl, die Weber anzweifelt: "Es gibt keine seriöse Statistik." Was die Wirklichkeit ist? Für den Zuschauer ist das nicht zu erkennen.

Ein Thema kam in der ganzen Sendung zu kurz – die Rolle des Freiers. Liegt es nicht auch in seiner moralischen Verantwortung im Blick zu haben, ob die Prostituierte, zu der er geht, ihre Dienste freiwillig anbietet? Nicht immer wird das zu erkennen sein – aber es gibt Indizien – etwa, wenn die Frau nur bruchstückhaftes Deutsch spricht. Den Blick auch auf diesen Aspekt zu weiten, wäre sicherlich sinnvoll gewesen. "Wir müssen das Thema differenziert betrachten", sagte Kahl-Passoth schon zu Beginn der Sendung.