Kirche auf der IAA: Einen Gang zurückschalten

Die Lichtkirche auf dem "Erwachsenen-Spielplatz"
Foto: Joachim Storch/EKHN
Die Lichtkirche auf dem "Erwachsenen-Spielplatz"
Kirche auf der IAA: Einen Gang zurückschalten
Mit der Lichtkirche bieten die evangelische und katholische Kirche den Messebesuchern auf der Internationalen Automobil Ausstellung in Frankfurt einen Ort der Einkehr und Besinnlichkeit.

"Schau mal: Eine Kirche haben die auch hier", raunt ein junger Mann seinem Begleiter zu, als sie an der Lichtkirche auf der IAA vorbeikommen. Beide lächeln und gehen weiter. Mit ihren hohen Holzgiebeln ist die Kirche nicht zu übersehen. Sie wirkt etwas unwirklich, dort draußen zwischen den Hallen 9 und 10 auf dem Gelände der Messe Frankfurt.

Glockenschlag per Hand
Es ist 12 Uhr, klar setzen sich die Glockenschläge der Kirche von der lauten Geräuschkulisse ab. Die Glocke hängt in einem drei Meter hohen Turm aus Holz und wird per Hand geläutet. Nebenan bietet Autohersteller Landrover eine spektakuläre Stuntshow, bei der die Geländewagen zu dramaturgischer Musik über Rampen sausen, während Stuntmen über die fahrenden Autos klettern. Die Formel 1 Cockpit-Simulation gegenüber der Kirche hält mit wummernden Elektrobeats dagegen. Der Duft von Imbissbuden und Zuckerwatte liegt in der Luft, lautes Gelächter ist zu hören: An dem Stand der Carrera Modell-Autorennbahn hinter der Kirche steuern zwei junge Männer im Wettrennen ihre Autos über die Miniatur-Strecke, während ihre Kumpels sie anfeuern. Ein Spielplatz für Erwachsene.

Unter dem Motto "Die automobilste Show der Welt" findet in diesem Jahr die 65. Internationale Automobil-Ausstellung statt, mehr als 1000 Aussteller führen ihre Weltneuheiten vor. Im Fokus stehen die Themen Elektromobilität und IT-Vernetzung, ein Trend sind sportliche Modelle. Das teuerste Auto der Ausstellung, im Wert von 2,28 Millionen Euro, präsentiert der französische Hersteller Bugatti. Und mittendrin in dieser exklusiven Messewelt: die Lichtkirche.

###mehr-links### Bereits zum zweiten Mal zeigen sich die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und das Bistum Limburg mit der Lichtkirche auf der IAA. Den Namen verdankt das 8 Meter hohe und 50 Quadratmeter große Kirchengebäude seiner Architektur aus Acrylglas und Holz, die viel Tageslicht in den Innenraum lässt. Gemeinsam mit der Akademie Versicherer im Raum der Kirchen möchten die EKHN und das Bistum Limburg die Messebesucher dazu einladen, sich einen Moment der Auszeit zu gönnen und zur Ruhe zu kommen. Bei der Eröffnung der Kirche auf der IAA hat der Frankfurter katholische Stadtdekan Johannes zu Eltz die Wichtigkeit des gemeinsamen Auftritts beider Kirchen hervorgehoben: "Autofahren gehört für viele Menschen zum Leben. Kirche muss da sein, wo Leben stattfindet. Also müssen wir hier sein – zusammen." Vor Ort informieren außerdem Notfallseelsorger über ihre Arbeit, auch über die Autobahnkirchen können sich die Messebesucher in Broschüren erkundigen.

"Gut, dass es euch gibt!"

Auf den kleinen bunten Hockern in der Kirche liegen evangelische Gesangbücher aus. Auf dem hölzernen Altar ist eine große Bibel aufgeschlagen, neben der Bibel stehen Kerzen und eine Grünpflanze. Sonst ist die Kirche nicht dekoriert. Ruhige Saitenklänge ertönen aus den kleinen Lautsprechern. Die Lichtkirche bietet ein Kontrast-Programm zum Messealltag, ohne sich von dem Treiben rundherum zu isolieren: Selbst wenn die Türen geschlossen werden, ist die Geräuschkulisse draußen wahrzunehmen.

Die beiden Notfallseelsorger Stephan Geller und Andreas Mann
Entworfen wurde das mobile Kirchengebäude von Architektur-Studenten der Fachhochschule Frankfurt. Die Idee entstand in der Bauabteilung der Evangelischen Kirche, um sich in besonderer Form als Kirche auf Veranstaltungen wie dem Hessentag, dem Kirchentag oder der Landesgartenschau zu zeigen. Für rund 260.000 Euro wurde die Lichtkirche gebaut, den Auftritt auf der IAA - Aufau, Abbau und Standgebühr - lässt sich die EKHN insgesamt über 80.000 Euro kosten.

Stephan Geller und Andreas Mann sind zwei der Notfallseelsorger, die den Stand der Lichtkirche auf der IAA betreuen. Geller ist katholisch, er trägt eine gelbe Warnjacke. Im Gegensatz zu Andreas Mann, der als evangelischer Notfallseelsorger lilafarbene Einsatzkleidung trägt. Sie stehen auf dem Weg vor der Kirche, vielleicht um besser mit Besuchern ins Gespräch zu kommen. Hin und wieder werden sie in ihren auffälligen Jacken angesprochen, ob sie wissen, wie man zu Halle 3, 4 oder 8 kommt. Für manche Besucher sehen sie aus wie Service-Personal. Nicht alle erkennen, dass sie Notfallseelsorger sind. "Wir wollen hier auch nicht auf Konfrontation gehen, sondern mit offenen Türen einladen", erzählt Stephan Geller. Wenn er und seine Kollegen über das Messegelände laufen, erlebt er auch, dass Menschen sagen: "Gut, dass es euch gibt".

###mehr-artikel### Drinnen in den Messehallen herrscht großes Gedränge vor den neuesten Automodellen von Ferrari und Lamborghini, viele möchten ein Foto als persönliches Andenken ergattern. Häufig drücken sich die Besucher einander beiseite. Doch die Aussteller locken nicht nur mit hoher PS-Zahl: Vor den meisten Autos räkeln und strecken sich leicht bekleidete Damen, um das Objekt der Begierde noch mehr in Szene zu setzen. Durchgängig laufende Beats sowie aufwendig installierte Lichtshows untermalen die Präsentation: wahre Reizüberflutung.

Der zu ersteigernde Oldtimer ist ein Publikumsmagnet

Auch draußen vor der Lichtkirche bleiben hin und wieder Messebesucher stehen. Ein echter Hingucker lockt zum Nähertreten: Ein restaurierter Oldtimer-Mercedes Ponton 180Db. Noch vor vier Jahren schrottreif, wurde er von der Evangelischen Jugend in Gießen aufwendig restauriert. Nun kann der vom Verkehrsamt zugelassene Wagen ersteigert werden, zugunsten eines Sozialprojekts der Partnergemeinde in Indien.

Beim Blick über den Oldtimer hinaus auf die Lichtkirche wirken die meisten Besucher allerdings verwundert. Mit einer Kirche haben sie wohl nicht gerechnet. Nur wenige betreten sie. "Natürlich überkommt den Messebesucher beim Anblick der Lichtkirche erstmal ein Gefühl von Fremdheit", gibt Kirchenpräsident Volker Jung bei der Eröffnung der Lichtkirche zu. "Aber es ist eben der Versuch, auch auf dieser Messe als Kirche einen Kontrapunkt zu setzen." Von der Formel 1 Cockpit-Simulation gegenüber ist zu hören: "This could be paradise."

Carolin und Albert Wittmann aus München bleiben an dem Kartenständer mit Broschüren und Postkarten vor der Kirche stehen. Carolin Wittmann nimmt sich eine Karte, auf der zu lesen ist: "Wie geht’s voran? – Mit dem Auto und Gottvertrauen". Sie sieht nachdenklich aus. Dann erzählt sie, dass sie gerade auf der Autobahn, auf dem Weg nach Frankfurt, einen Unfall mit einem LKW hatten. Das Auto habe einen Totalschaden. "Uns ist nichts passiert. Wir hatten wirklich einen Schutzengel", sagt sie. Beiden ist der Schrecken anzusehen. Auch in solchen Situationen bietet die Lichtkirche Raum, um inne zu halten.