Studie: Deutschlands Pflegesystem anfällig für Korruption

Foto: epd-bild/Axel Bredehöft
Studie: Deutschlands Pflegesystem anfällig für Korruption
Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International prangert Betrug und Intransparenz im deutschen Pflegesektor an.

"Das Pflegesystem ist weitgehend privatisiert. Marktgesetze bestimmen das Handeln und nicht ethische Werte", kritisierte Anke Martiny, Vorstandsmitglied der deutschen Sektion von Transparency International am Dienstag in Berlin bei der Vorstellung der Studie "Transparenzmängel, Betrug und Korruption im Bereich der Pflege und Betreuung". Für die Studie waren unter anderem 13 anerkannte Experten nach ihren Erfahrungen befragt wurden.

###mehr-artikel###Die Sozialwissenschaftlerin und Co-Autorin Barbara Stolterfoht erläuterte, bei privaten Anbietern stehe oft die Immobilienrendite und nicht die Pflege im Vordergrund. Beliebt sei etwa die Konstellation, dass Immobilien- und Betreibergesellschaft entweder beide in der Hand des gleichen Eigners lägen oder nur formal getrennt seien. Dadurch ergebe sich die Möglichkeit der "gesetzlich nicht zulässigen Quersubventionierung", sagte Martiny. Geld, das ausschließlich für die Pflege vorgesehen sei, fließe häufig in die Miete der Gebäude. Ein anders Beispiel seien Fälle, in denen Pflegedienstfirmen ohne professionelle Pflegekraftleiter arbeiteten.

Wie hoch die Schäden sind, die durch Betrug und Korruption im Pflegebereich entstehen, konnte die Studie nicht klären. Klar sei jedoch "da ist vieles im Argen", sagte Martiny. Missstände im deutschen Pflegesystem aufzudecken, ist nach Ansicht der Experten enorm schwierig. Grund dafür sei die "hohe Komplexität" des Sektors mit zahlreichen Akteuren und unterschiedlichen Verwaltungsvorschriften in den einzelnen Bundesländern. Wer Probleme offenlegen will, "muss in Bayern anders vorgehen als in Rheinland-Pfalz", betonte Martiny.

Zu viele Beteiligte

In die Finanzierung der Pflege seien neben den Betroffenen und den Angehörigen auch Pflegekassen, Krankenkassen, Sozialämter, Rentenversicherungen und mitunter auch Unfallversicherungen involviert. "Die Vielzahl der Akteure und der gesetzlichen Verwaltungsvorschriften macht es schwierig, Verantwortlichkeiten eindeutig zuzuordnen", betonte Stolterfoht.

Angesichts mangelnder Transparenz fordert die Organisation mehr Mitbestimmungsrechte für Altenheimbewohner und Angehörige, Einsehbarkeit von Gutachten des Medizinischen Dienstes über die Pflegebedürftigkeit sowie die Veröffentlichung von Transparenzberichten aller Pflegeheime auf einer bundesweit einheitlichen Internetseite. Dringend nötig sei auch ein bundesweites Register, das Verstöße von Heimbetreibern dokumentiert.

Kostenexplosion bei rechtlichen Betreuungen

Besonders kritisch sieht die Studie den Bereich rechtlicher Betreuungen. Die Zahl der Fälle, in der ein Gericht einen Betreuer für einen Pflegebedürftigen anordnet, ist nach Transparency-Angaben von 420.000 im Jahr 1993 auf 1,3 Millionen 2008 angestiegen. Die Kosten explodierten von fünf auf 640 Millionen Euro im gleichen Zeitraum.

Transparency kritisiert in diesem Zusammenhang, dass es keine berufsrechtlich definierten Zugangskriterien für selbstständige Berufsbetreuer gibt und eine ausreichende Kontrolle fehlt. Den Angaben zufolge betreut derzeit ein Rechtspfleger, der Aufsicht ausüben soll, rund 1.000 solcher Verfahren. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gibt es deutschlandweit mittlerweile rund 2,5 Millionen Menschen mit Pflegebedarf. Etwa 950.000 Beschäftigte arbeiten in dem Bereich.