TV-Tipp des Tages: "George" (Arte)

iStockphoto
TV-Tipp des Tages: "George" (Arte)
TV-Tipp des Tages: "George", 22. Juli, 20.15 Uhr auf Arte
Götz George spielt seinen Vater Heinrich George, der ein Jahrhundertschauspieler voller Widersprüche war. Das außergewöhnliche Dokudrama über einen besessenen Theatermann befasst sich mit dessen letzten Lebensjahren sowie mit der Frage nach Schuld und Verantwortung während der Nazi-Zeit.

Dieses mutige und in einer derartigen Größenordnung singuläre Projekt hält schon im theoretischen Ansatz derart viele Facetten bereit, dass dem Film von Joachim A. Lang von vornherein größter Respekt gebührt. Der Leiter der SWR-Abteilung Sonderprojekte Musik und Theater und Autor unter anderem eines filmischen Essays über den NS-Propagandafilm "Jud Süß", hat sich einer Herausforderung gestellt, an der vor ihm schon einige gescheitert waren: Bislang hat Götz George sämtliche Angebote, sich an einem Werk über seinen Vater Heinrich zu beteiligen, abgelehnt. Lang aber hat offenbar nicht nur die richtigen Worte, sondern vor allem das richtige Konzept gefunden; und mit Produktionsfirma teamWorx sowie Kameramann Holly Fink und Komponist Gert Wilden herausragende Mitstreiter.

Ein multiperspektivisches Dokudrama

Sein Film ist das Ergebnis von zwölf Jahren Arbeit. Er bereichert das Genre das multiperspektivischen Dokudramas um eine weitere Ebene, mit deren Hilfe er die Spielszenen immer wieder als das entlarvt, was sie auch sind: keine Rekonstruktion der Wirklichkeit, sondern bloß die mögliche Spielart einer Realität, die auch anders ausgesehen haben könnte. Das hebt sein Projekt ausgesprochen wohltuend von vergleichen Werken ab, die stets den Anspruch auf Deutungshoheit reklamieren. "George" bricht mit dieser Haltung, und das nicht nur, weil der Sohn den Vater in den Spielszenen verkörpert; schauspielerisch mag es Götz mit Heinrich aufnehmen können, aber was das Kampfgewicht angeht, wird ihm wohl ein Zentner fehlen. Lang konterkariert die Rekonstruktion aber zusätzlich mit Aufnahmen von den Dreharbeiten. Außerdem tritt Götz George im dokumentarischen Rahmen auch noch als Zeitzeuge auf. Im Film folgen beispielsweise auf Götz Georges Erinnerungen an die letzte Begegnung mit seinem Vater "Making of"-Bilder dieser Szene. Dass die anschließende szenische Rekonstruktion (mit Muriel Baumeister als George-Gattin Berta Drews) dennoch ausgesprochen ergreifend ist, zeigt das große emotionale Potenzial dieses Stoffs.

Auch inhaltlich gelingt Lang die Kombination vieler verschiedener Ebenen. Im Vordergrund aber steht eindeutig die Auseinandersetzung mit der Rolle des Künstlers in der Diktatur; daher konzentriert sich der Film auf die Jahre 1933 bis 1946. Heinrich George repräsentiert sozusagen prototypisch all jene, die sich ab 1933 in irgendeiner Form mit den Nationalsozialisten arrangiert haben. Im Gegensatz zum durchschnittlichen Mitläufer aber genoss Heinrich George, der als einer der größten Schauspieler seiner Zeit galt, jahrzehntelang eine Popularität, wie sie Sohn Götz allenfalls zu seiner Zeit als "Tatort"-Kommissar Schimanski zuteil wurde. Wenn sich eine Persönlichkeit dieses Kalibers für Propagandakino wie "Hitlerjunge Quex" und "Jud Süß" oder im Parteiorgan "Völkischen Beobachter" zum Endkampf aufrief, hinterließ das entsprechenden Eindruck. Deshalb wurde George nach Kriegsende vom sowjetischen Geheimdienst angeklagt und im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen interniert, wo er im September 1946 starb. Die Zeit im Lager, wo er mit anderen Häftlingen unter anderem ausgerechnet Goethes "Faust" inszeniert, nimmt einen Großteil des Films ein. Das Verhör mit einem Offizier (Samuel Finzi) des russischen Geheimdienstes bildet den Rahmen für die zeitsprunghaft komponierten biografischen Rückblenden mit Wochenschaumaterial, Kinofilmausschnitten, Spielszene (mit unter anderem Thomas Thieme als Paul Wegener, Martin Wuttke als Joseph Goebbels und Hanns Zischler als Max Beckmann) sowie Gesprächen mit Zeitzeugen und Nachfahren, darunter auch die George-Brüder Götz und Jan, die gemeinsam das Elternhaus wie auch das Lager besuchen.

Der Film schönt das Bild Georges nicht; es gibt keinen Freispruch, obwohl Russland den Schauspieler vor 15 Jahren rehabilitiert hat. Lang, der das Drehbuch gemeinsam mit Kai Hafemeister schrieb, weckt dennoch Verständnis für diesen Menschen, der so reich an Widersprüchen war, in seinem Leben aber immer nur eins wollte: spielen. George hat Joseph Goebbels einige Kollegen für sein Berliner Schillertheater abgetrotzt, die ansonsten ins KZ verschleppt worden wären. Er war zwar der Meinung, Politik und Kunst sollten nicht miteinander vermischt werden, aber selbstredend war er als Künstler und Mensch ein Protagonist des "Dritten Reich". Langs Botschaft bleibt unausgesprochen, aber man versteht sie auch so: "Der Film zeigt, dass ein Rückzug auf die Kunst, zumindest in diesen finsteren Zeiten, nicht gelingen kann."