Mit Mama an den Joystick

epd-bild/Andreas Pöge
Der zwölfjährige Heinrich spielt mit seiner Mutter Klaudia Kappmann in der Leipziger Computerspielschule ein PC-Spiel. Der Keller des humanistischen Leipziger Friedrich-Schiller-Gymnasiums beherbergt eine in dieser Form deutschlandweit einmalige Einrichtung: Dreimal die Woche werden die Räume des medienpädagogischen Projekts für alle geöffnet, die sich schon immer mal an einem Videospiel ausprobieren wollten, vor allem Eltern und Großeltern.
Mit Mama an den Joystick
In der Leipziger Computerspielschule stehen Super Mario und Skylanders auf dem Stundenplan. Gemeinsam mit den Kindern können Eltern oder Großeltern alles über die Welt der virtuellen Helden lernen.

Vor der schweren Eisentür ist es noch ganz still. Kein Laut ist zu hören, außer dem Quietschen der Schuhe auf dem schultypischen Linoleumboden. Innen: eine Mischung aus Freizeitheim, Spielkasino und multimedialem Klassenzimmer, es fiept, dudelt und quäkt. 14 Rechner stehen hier, Flachbildschirme hängen an der Wand. Poster mit Abenteuerhelden wie Chop Chop von Skylander, einem der beliebtesten Spiele derzeit, schmücken das sonst eher nüchterne Ambiente.

In der Ecke posiert Abenteuerheld Indiana Jones in Lebensgröße, daneben lädt eine durchgewetzte Couch zum Ausruhen und Beinehochlegen ein. Eine Partygirlande hängt von der Decke. Der Keller des humanistischen Leipziger Friedrich-Schiller-Gymnasiums beherbergt eine in dieser Form deutschlandweit einmalige Einrichtung - die Leipziger Computerspielschule. Dreimal die Woche werden die Räume des medienpädagogischen Projekts für alle geöffnet, die sich schon immer mal an einem Computerspiel, einer Playstation oder X-Box ausprobieren wollten. 

Maria Friedrich ist fast jede Woche hier. Die zierliche Seniorin mit den kurzen grauen Haaren, die eigentlich anders heißt, kommt meist donnerstags und sucht sich dann ein sogenanntes Wimmelbild aus, bei dem der Spieler per Tastendruck versteckte Gegenstände wieder aufspüren muss. Heute fällt die Wahl der 61-Jährigen auf "Mystery from Atlantis", ein klassisches Point- und Click-Spiel rund um die Abenteuer der Archäologin Samantha Swift.

"Das ist schön und entspannend", erklärt sie und schaut hoch. Kurze Zeit später ist sie wieder in das Spiel vertieft. Ihre Hand dirigiert die Maus routiniert auf Schätze und Türen.

Vorbehalte der Erwachsenen ausräumen

Rund 1.000 Spiele aus jedem Genre stehen zur Verfügung. Das Besondere ist, dass vor allem Eltern und Großeltern angespornt werden, hierher zu kommen. Gemeinsam mit ihren Kindern sollen sie die Welt der Computerspiele erkunden.

"Unser Hauptziel ist es, an die Erwachsenen ran zu kommen, denn die haben ein bisschen Vorbehalte, was die Spielwelt ihrer Kinder angeht", sagt Dorothea Rosenberger, Medienpädagogin und eine der Projektleiterinnen der Computerspielschule. "Wir wollen die Eltern nicht zu Spielern machen, aber wir wollen, dass sie diese Welt mal angefasst haben und dadurch auch sinnvoller Regeln setzen können".

"Bei einem Online-Rollenspiel kann man nicht sagen, du hast jetzt noch drei oder fünf Minuten, dann gibt es Abendessen", erklärt Rosenberger.  Sie rät Eltern stattdessen, sich an inhaltlichen Aufgaben zu orientieren. "Man kann dann mit dem Kind vereinbaren, du darfst heute ein, zwei oder drei Quests erledigen und dann ist Schluss."

Dialog statt Rückzug und Sprachlosigkeit

Das Spiel, für Kritiker der virtuellen Zockerei auch eine Form von Rückzug und Sprachlosigkeit, kann nach Auffassung der Computerspielschule auch eine Möglichkeit für Eltern und Jugendliche sein, miteinander in Dialog zu treten. Der Nachwuchs schlüpft in eine andere Rolle und führt die meist ahnungslosen Eltern nach und nach in die Welt der Helden und Bösewichte ein. "Die Kinder sollen sich auch mal als Experten fühlen", sagt Rosenberger. Außerdem fördert das Spielen gerade bei unruhigen Jugendlichen die Konzentration, glaubt sie.

Für Marion Richter bietet die Computerspielschule auch eine Möglichkeit, den Spielgenuss ihres Sohnes Nils zu kontrollieren. "Mein Kind spielt gerne, aber zu Hause haben wir keinen Nintendo und keine Wii, deshalb leihen wir uns das hier aus", sagt die 50-Jährige. "Ich möchte, dass es etwas Besonderes bleibt und nicht immer verfügbar ist." Außerdem interessiert sie sich für die Spiele ihres Sohnes, möchte etwas Zeit mit ihm gemeinsam verbringen. Auch wenn Nils sie bei Mario Kart oder Boom Blox meist schlägt.

Der zehnjährige Markus, der eigentlich einen anderen Namen hat, gehört ebenfalls zu den Stammgästen. Wie die meisten anderen Kinder der Computerspielschule besucht auch er das Friedrich-Schiller-Gymnasium. Seine Mutter hat den Jungen erst einmal begleitet. "Sie hat kaum Zeit", sagt er bedauernd. Die ist auch bei dem Gymnasiasten nicht im Überfluss vorhanden. Neben dem Computerspielen geht er auch anderen Hobbies nach, hat in der Kampfsportart Taekwondo den gelben Gurt.

"Was macht mein Kind sonst noch?"

Eine vielfältige Freizeitgestaltung ist auch aus Sicht der Pädagogin Rosenberger das Wichtigste, wenn es um die Schattenseiten des Computerspielens geht. "Die reine Nutzungszeit sagt nichts über die Abhängigkeit des Spielers", sagt sie. "Man sollte besser schauen, was macht mein Kind sonst noch? Ist es im Sportclub oder spielt es noch ein Instrument?".

Auch für Maria Friedrich, die Seniorin mit der Vorliebe für Wimmelbilder, steht das Spiel mit Maus und Tastatur nicht im Vordergrund. Viel zu wichtig sind auch Wohnung und Garten, die gepflegt werden müssen. "So lang wollte ich eigentlich nicht bleiben", ruft sie beim Rausgehen dem Team fröhlich zu. Und: "Bis nächste Woche!".