Es lebe das Landleben

Foto: Franziska Fink
Aufgeschnittene Milchtüten am Bauzaun: Urban Gardening in Frankfurt.
Es lebe das Landleben
Die Sehnsucht von Städtern nach frischer Luft, bewusster und gesunder Ernährung steigt. Mobile Beete, Stadt-Imkern und vorbereitete Felder - drei Stationen, drei Trends.
21.06.2013
evangelisch.de
Franziska Fink und Juliane Ziegler

Frankfurter Garten

Graue Asphaltwüste – das war einmal auf dem Danziger Platz vor dem Ostbahnhof in Frankfurt. Seit Anfang Mai befindet sich hier der Frankfurter Garten: Ein urbaner Nutzgarten, eine kleine Idylle inmitten von Beton und Straßenlärm. Es hat lange gebraucht, bis eine geeignete Fläche direkt in der Stadt gefunden war, erzählt Daniela Cappelluti, die von Anfang an bei dem Projekt mit an Bord war. Ein Ort am Rande der Stadt wäre nicht in Frage gekommen: "Wir wollen ganz nah bei den Menschen sein, ein kurzer Weg ins Grüne.“

Mobile Beete im Schatten der neuen Europäischen Zentralbank: Der Frankfurter Garten

Jetzt wird in Hochbeeten gegraben, gesät und gejätet und jeder darf mitmachen. Manche Anwohner aus dem Ostend betrachten noch skeptisch, was da vor ihrer Haustür passiert, aber viele sind auch neugierig und schauen vorbei. Und auch aus allen anderen Stadtteilen kommen Menschen, um bei Kräuterworkshops mitzumachen oder im Gartenclub die nächsten Projekte zu diskutieren, am Gewächshaus muss zum Beispiel weiter gebaut werden.

###mehr-artikel###Der Frankfurter Garten ist auch dafür da, um zu experimentieren. Torsten Jens von der Naturschule Hessen möchte mit Kindern demnächst in die Bäume: "Da kann man wunderbar Seile hochwerfen, man kann hochklettern. Oben in den Platanen kann man am besten etwas über die Platanen erzählen, sich die Früchte anschauen oder sich auch mal mit einer Liege reinlegen."

Geplant: Apfelweinmeisterschaft und Lesungen

"Auf der einen Seite möchten wir gerne an diesem Ort gärtnern, wir möchten aber auch Menschen zusammenbringen“, meint Daniela Cappelluti dazu. Dementsprechend viel hat sich der Frankfurter Garten vorgenommen: Es wird Bildungsangebote für Schüler und Jugendliche geben und Workshops zu Ökologie, Nachhaltigkeit und Ernährung. Im Juli wird im Frankfurter Garten die hessische Apfelweinmeisterschaft stattfinden und das Literaturhaus Frankfurt möchte Lesungen für Kinder veranstalten. Alles in allem soll der Frankfurter Garten ein Ort der Begegnung sein, ein Ort, an dem sich Menschen aus allen Stadtteilen und Schichten treffen können.

Es wächst und gedeiht auf der Verkehrsinsel
Zwei Jahre lang darf der Frankfurter Garten auf dem Danziger Platz bleiben, wie es dann weitergeht, ist noch nicht klar. Aber auch das gehört zum Konzept: "Hier ist alles mobil, wir könnten alles zusammenpacken und einen neuen Stadtteil suchen“, erklärt Daniela Cappelutti.

 

 

Imkern in der Stadt

"Es ist so einfach, Bienen zu halten!" – Thorsten Herget hat einen rechteckigen Holzkasten mit in den Frankfurter Garten gebracht - etwa einen Meter lang, 50 Zentimeter breit, 20 Zentimeter tief – und zeigt, wie ein Bienenvolk da rein und Honig irgendwann raus kommt. Ein Bienenschwarm von zwei Kilo passe hinein, das entspricht etwa 20 000 Tieren. Der Vorteil an dieser Bienenkiste: Sie kann praktisch überall aufgestellt werden und innerhalb von einem halben Tag hat er den Bausatz zusammen gezimmert.

###mehr-galerien###Thorsten Herget wollte etwas gegen das Bienensterben tun, dem entgegensteuern. Seit rund einem Jahr beschäftigt er sich intensiver mit der Imkerei, informiert sich online und fährt zweimal im Monat in den Berliner Prinzessinnengarten, um sich dort mit anderen Hobbyimkern auszutauschen. Die Imkerei in der Stadt funktioniere gut, erklärt Herget. Denn in Parks, auf Balkonen oder in Friedhöfen lasse sich genug und länger Nahrung finden, fast leichter als auf dem Land. Und was ist mit Verschmutzung in der Stadt, wie zum Beispiel Feinstaub? Thorsten Herget winkt ab: "Die Bienen filtern Schadstoffe heraus."

"Urban Beekepping" - ein weltweiter Trend

2008 hat das Frankfurter Museum für Moderne Kunst auf seinem Dach Bienenstöcke aufgebaut, den Honig – "Geschmack von Frankfurt" heißt er – kann man an der Museumskasse kaufen. Oder auf dem Dach des Berliner Doms, auf dem Abgeordnetenhaus oder dem Haus der Kulturen der Welt. Daneben ist  "Urban Beekeeping" nicht nur in deutschen Großstädten, sondern auch in Metropolen wie Paris oder New York zu beobachten.

Hobby-Imker Thorsten Herget lässt es im Frankfurter Garten summen
Petra Friedrich vom Deutschen Imkerbund bestätigt diesen Trend: In Berlin sei mit zehn Prozent Zuwachs pro Jahr eine überdurchschnittlich hohe Mitgliederentwicklung zu beobachten, in anderen Städten sei es ähnlich. Derzeit, so Friedrich, haben Bienen in Städten bessere Lebensbedingungen: vom Frühling bis zum Winter lasse sich dort Nektar finden. Hinzu komme die Pestizidbelastung auf dem Land. Doch: In der Stadt habe kaum jemand den Platz, hundert Bienenvölker zu halten, "daher sollte das Augenmerk darauf liegen, auf dem Land wieder bessere Voraussetzungen zu schaffen", meint Friedrich. Insgesamt steigt die Zahl der Imker in Deutschland seit 2008 um drei bis vier Prozent, zurzeit gibt es 88500 Imker. Und Thorsten Herget hat mit seiner Begeisterung noch mehr angesteckt und seit zwei Wochen summt es auch im Frankfurter Garten: zwei Naturschwärme hat Herget hier angesiedelt.

 

Saisongarten in Darmstadt

Etwa 35 Kilometer weiter südlich: Das Feld am östlichen Stadtrand von Darmstadt ist in 200 Parzellen eingeteilt, jede etwa 70 Quadratmeter groß. Manche sind akkurat gepflegt, kein Unkraut wächst zwischen den jungen Pflanzen. Andere verwildern ein wenig, auf einer Parzelle weht eine Brasilien-Flagge, auf einer anderen bewacht eine kunstvolle Vogelscheuche die Gewächse.  "Wieso sieht der Spinat von Parzelle 36 ganz anders aus als unserer?", "Kann ich schon bald etwas ernten?" oder: "Wir haben ein Harken-Problem, die werden häufig nicht zurück gebracht!" Hier, im Saisongarten, wird Jens Müller Cuendet auch außerhalb seiner wöchentlichen "Gartensprechstunde" von den Hobbygärtnern angesprochen, sobald er über das Feld läuft. Die Pächter der einzelnen Parzellen sind interessiert, aber die meisten kennen sich kaum aus mit Gemüseanbau. "Früher", erklärt Jens Müller Cuendet, "da war das anders: Die Menschen mussten sich damit auskennen, sonst hätten sie sich nicht ernähren können. Heute besteht die Notwendigkeit nicht mehr." Er lebt seit dreieinhalb Jahren mit seiner Familie auf dem Hofgut Oberfeld, hat ökologische Landwirtschaft studiert und begann 2010, die Beete zu vermieten.

Zurück zu den Wurzeln: Wo kommt eigentlich das Gemüse her?

###mehr-links###Und die Resonanz ist groß: "Wir scheinen mit dem Angebot ein großes Bedürfnis zu stillen", sagt er. Angefangen mit 50 Parzellen, sind es nun 200. Jahr für Jahr kamen 50 Beete hinzu, jedes Mal waren alle vergeben und die Warteliste wird immer länger. An wen? "Zum Beispiel teilen sich Studenten einen Mietacker. Es sind auch viele Eltern mit kleinen Kindern unter den Pächtern - anscheinend ist ihnen wichtig, dass ihre Kinder lernen, wo das Gemüse herkommt." Ein Grund dafür, warum der Saisongarten auf so viel Resonanz stößt, sei aber sicher auch die Nähe zur Stadt, meint Jens Müller Cuendet. "Wäre das Feld weiter entfernt, und der Weg umständlicher, würden wahrscheinlich weniger kommen", vermutet er.

Jens Müller Cuendet bietet einmal in der Woche eine Gartensprechstunde an
Spinat, Kohl, Pastinaken, Kartoffeln, Mangold, Zuckerrüben, Radieschen, Kohl – in langen Reihen ist das Gemüse gesät, die Parzellengrenzen verlaufen quer dazu. So hat jeder das gleiche Sortiment. Ein Fünftel der Flächen bleibt frei, das können die Hobbygärtner selbst bepflanzen. Unterstützung gibt es seitens des Hofgutes: Wasser und Geräte werden bereitgestellt, das Feld vorbereitet: Müller Cuendet pflügt, eggt und bestellt das Feld. Ab März ist es Aufgabe der Pächter, ihre Parzellen zu pflegen, Unkraut zu jäten, den Boden zu harken, zu gießen. Und anschließend auch: zu ernten. Regelmäßig schickt Müller Cuendet eine E-Mail an alle und bietet seine "Gartensprechstunde" an. Den Menschen die Möglichkeit geben, eigene Bioprodukte anzubauen, und sie an die ökologische Landwirtschaft heranzuführen – darum geht es hier. Aber auch um mehr: "Man kommt so schnell mit anderen Leuten ins Gespräch, tauscht sich über seine Pflanzen aus, lernt voneinander", schwärmt eine Hobbygärtnerin. Und: "Über manches habe ich mir früher gar keine Gedanken gemacht. Zum Beispiel: Wie lang Kohl braucht, bis man ihn ernten kann."