Was aber, wenn immer weniger Stadt da ist?

Viele Städte schrumpfen und kämpfen mit den Folgen. Zum Beispiel Duisburg.
Foto: Norbert Enker/laif
Viele Städte schrumpfen und kämpfen mit den Folgen. Zum Beispiel Duisburg.
Was aber, wenn immer weniger Stadt da ist?
Schrumpfende Städte als Herausforderung
Im Schwerpunkt zur aktuellen Jahreslosung beschäftigt sich evangelisch.de mit dem Thema "Stadtentwicklung". Viele mögen es nicht glauben, andere nicht wissen - aber sowohl international als auch in Deutschland gibt es etliche Regionen, in denen Städte tatsächlich nicht mehr wachsen, sondern schrumpfen. Und das zum Teil dramatisch – und mit verheerenden Folgen.
27.05.2013
evangelisch.de

"Wir haben hier keine bleibende Stadt" – der erste Teil der Jahreslosung ist für die Menschen in Detroit, Manchester, Ivanovo, aber auch Dessau und Duisburg Realität – und zwar eine bittere. Sie erleben, wie sie Teile ihrer Stadt verlieren, weil sie schrumpft. Das passiert nicht plötzlich und nicht immer sofort sichtbar, aber unaufhaltsam und oft auch schmerzhaft. Und irgendwann klaffen dort, wo einmal Industrieareale nahe des Stadtzentrums waren, hässliche Baulücken, Verfall und Verwilderung treten zutage, wo einmal schmucke Wohnhäuser standen.

Ganze Viertel, die verlassen sind, müssen eingerissen werden. So wie in der Autostadt Flint in Michigan, USA. Nach dem Niedergang von General Motors machte Bürgermeister Michael Brown sogar den Vorschlag, kaum noch bewohnte städtische Quartiere einfach abzuhängen: Keine Polizeipatrouillen mehr, keine Müllabfuhr – und die Feuerwehr sollte auch nicht mehr kommen. Dann würden die letzten Einwohner schon freiwillig gehen, so die Hoffnung – und die Abrissbagger könnten anrücken…

Warum schrumpfen Städte?

Die Gründe für das Schrumpfen einer Stadt sind vielfältig, häufig gibt es einen Mix an Ursachen. Fast immer aber steht am Anfang ein Strukturwandel, zum Beispiel der Niedergang einer traditionellen Hochindustrie am Standort, wie Bergbau, Stahlherstellung, Kohleförderung oder Schiffsbau. Die Stadt Detroit beispielsweise verlor - ähnlich wie Flint, angestoßen durch den Niedergang der Automobilindustrie und die Verlagerung von Werken ins Ausland - zwischen 1950 und 1980 rund 80 Prozent der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe.

###mehr-artikel### Die Menschen, die so arbeitslos werden, verlassen die Stadt, teilweise massenhaft. Aber nicht nur die Abwanderung in andere Regionen ist ein Problem, viele Menschen kehren auch einfach den Städten den Rücken und siedeln sich im Umland an, was die bekannten 'Speckgürtel' zum Anwachsen bringt. Das erzeugt den sogenannten "Doughnut-Effekt": Eine starke Peripherie um entleere Innenstädte. Dort klaffen dann oft auch reale Löcher: In Detroit wurden zwischen 1978 und 1998 beispielsweise 108.000 Abrisse, aber nur 9.000 Neu- und Umbauten genehmigt.

Aber man muss gar nicht über den großen Teich gehen, um eindrückliche Beispiele dafür zu finden, wie schrumpfende Städte aussehen können. Auch in Deutschland sind Hunderte Städte betroffen: Besonders stark im Osten der Republik. Die Ursache ist hier nicht bloß im 'Strukturwandel' zu suchen, es muss geradezu von einem 'Strukturbruch' nach der Einheit gesprochen werden. Die Soziologin Birgit Glock schreibt in der Zeitschrift "Initial – Berliner Debatte": "Mit der Wiedereinführung der Marktwirtschaft nach 1990, der Privatisierung der staatseigenen Betriebe und der Liberalisierung der Märkte brach die industrielle Basis in Ostdeutschland innerhalb weniger Jahre zusammen."

Die Folge: Die Menschen gingen bekanntermaßen massenweise nach Westdeutschland, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Aber auch im Westen der Republik gibt es längst nicht mehr nur noch Wachstumsregionen – auch hier schrumpfen Städte teilweise dramatisch, zum Beispiel in Oberfranken, im Saarland, in Teilen Baden-Württembergs und Hessens und im Ruhrgebiet. Das eingangs erwähnte Duisburg beispielsweise verlor in den vergangenen Jahren fast 50.000 Einwohner und zählt nun nicht einmal mehr 490.000. 14.700 Wohnungen stehen derzeit leer und auch hier veröden ganze Stadtviertel.

Welche Folgen hat das Schrumpfen?

Die Folgen von Abwanderung und Schrumpfung für die betroffenen Städte sind vielfältig:
- Die Zusammensetzung der Bevölkerung ändert sich tiefgreifend: In erster Linie wandern höher qualifizierte und vor allem jüngere Bewohner ab – sie sind mobil und finden häufig andernorts Arbeit. In Duisburg zum Beispiel hatte sich der Anteil der Arbeitslosen zwischen 1975 und 1986 mehr als verdreifacht, der Anteil der Sozialhilfeempfänger mehr als verdoppelt.
- Soziale und technische Infrastruktur (Schulen, Kindertagesstätten, Öffentlicher Personennahverkehr, aber auch zum Beispiel das Abwassersystem) sind nicht mehr ausreichend ausgelastet. Die Instandhaltung wird deshalb tendenziell teurer, die Kosten für den Einzelnen steigen auf jeden Fall an.
- Häufig geraten die kommunalen Haushalte in extreme Schieflage, weil die Einnahmen durch Gewerbe- und Einkommenssteuern absinken und die Ausgaben gleichzeitig – vor allem im sozialen Sektor – steigen.
- Es gibt regelrechte Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt: Vor allem dort, wo viele Wohnungen leerstehen, fallen zwar die Mieten. Es kommt aber auch zu einem Modernisierungsstau – vor allem in benachteiligten Vierteln stockt die Instandsetzung. Zudem droht nicht wenigen Wohnungseigentümern die Insolvenz.
- Im Stadtbild entstehen oft unübersehbare Lücken durch Brachen, die nicht wieder bebaut werden, wenn zum Beispiel Gewerbebetriebe schließen mussten oder abgewandert sind.

Was tun?

Wie aber kann mit diesen Folgen umgegangen werden? Wie kann dem Schrumpfen einer Stadt – vor allem politisch - begegnet werden? Natürlich kann auf ein verstärktes wirtschaftliches Wachstum vor Ort gesetzt – und alles dafür getan werden.

In Duisburg-Hochfeld
Die Schwierigkeit hierbei: Die Erfolgsaussichten sind recht gering. Vor allem sind die kommunalen Finanzen ohnehin geschwächt und so stehen auch nur wenige Mittel für Wirtschaftsförderung und Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung. Die Kritik an dieser Option bemängelt zudem, dass hier überwiegend Wirtschaftspolitik als Stadtpolitik betrieben werde: Meist würden wenige große 'Projekte mit Leuchtturmfuntion' aufgezogen, wie Soziologin Glock sie nennt. Politikbereiche, von denen man sich keinen direkten Standortvorteil verspricht, würden folgerichtig vernachlässigt, sozial Schwache dadurch zusätzlich an den Rand gedrängt.

Glock skizziert schließlich eine alternative Möglichkeit für die Städte: "Sie können aber auch die Bedingungen des Schrumpfens anerkennen und einen Paradigmenwechsel vollziehen, in dem neue Ziele und andere Instrumente in der Stadtpolitik formuliert werden, mit deren Hilfe der Prozess des Schrumpfens gesteuert werden kann ("planned shrinkage"). Dies setzt jedoch voraus, dass ein 'Umdenken' stattfindet, weil Stadtpolitik in der Vergangenheit immer mit der Koordinierung von Wachstumsprozessen identisch war."

Stadtumbau statt Wachstum

Gefragt wäre also eher ein 'Stadtumbau' – und zwar als geplanter Prozess, optimalerweise unter Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger. Hier kann wieder die Stadt Duisburg als Beispiel dienen: Dort gibt es das Projekt "Duisburg 2027". Dies soll nicht mehr die Einwohnerzahl steigen lassen, sondern möglichst für soziale Stabilität sorgen und überdies die Einnahmen der Stadtkasse sicherstellen. Etliche nicht benutzte Wohnungen werden abgerissen, schöne Bauten aus dem alten Bestand aber saniert.

###mehr-links### Es klingt paradox, aber: Hunderte von neuen Wohnungen und Einfamilienhäusern werden gebaut, obwohl etliche andere leer stehen. Der Plan: Junge Familien sollen die Möglichkeit haben, innerhalb der Stadt modern und ansprechend zu wohnen. Noch in den neunziger Jahren waren die meisten aus Mangel an attraktiven Immobilien ins Umland abgewandert. Und noch etwas wird gemacht: Da, wo früher die zu dichte Bebauung zu Wüsten aus Stein und Beton führte, werden jetzt in entstandenen Lücken Grünflächen und Freizeitanlagen geplant.

Finanziert wird dieses Programm übrigens zu einem Teil auch aus Mitteln des Projekts "Stadtumbau West". Das wird, gemeinsam mit dem 'Schwesterprojekt' "Stadtumbau Ost", gemeinsam von Bund und Ländern getragen, die Milliarden für diesen Zweck investiert haben. Ein Beispiel dafür, dass das funktionieren kann, gibt die Stadt Leipzig: Zwischen 1989 und 1998 verlor die Stadt rund 100.000 Einwohner. Inzwischen hat man dort wieder das Bevölkerungsniveau der 80er Jahre erreicht. Das Erfolgsrezept: Gezielte Investitionen, die ein Wachstum von Vierteln rund um das Stadtzentrum ermöglichten.

Eine zukünftige Stadt

Wichtig scheint bei alledem vor allen Dingen eine eingehende Analyse der Situation und ein Eingehen auf die spezifischen Besonderheiten und Anforderungen vor Ort zu sein. Dabei hilft natürlich ein Einbeziehen der betroffenen Bewohnerinnen und Bewohner und der regionalen Initiativen, Vereine, Institutionen und Akteure in den Prozess. Nicht zuletzt auch die Kirchengemeinden können und sollten sich hier einbringen. Damit aus der zukünftigen Stadt vielleicht nicht eine bleibende wird - aber eine, die Perspektiven bietet.

Schrumpfende und wachsende Städte und Gemeinden in Deutschland