"Ein moderner Held"

Foto: epd-bild/akg-images
Eine Gruppe von Juden wird im Mai 1943 von Einheiten der Waffen-SS nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto zur Deportation abgeführt.
"Ein moderner Held"
Vor 70 Jahren begann der Aufstand im Warschauer Ghetto
Zum 70. Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto wird in Polen die Erinnerung an den jüdischen Kommandanten Marek Edelman wieder wach. Warum, fragte er sich am Ende seines Lebens, interessiert sich niemand für das Thema Liebe im Ghetto?
19.04.2013
epd
Jens Mattern

"Nie streckte er die Waffen, immer hat er sich für die Menschenwürde starkgemacht", sagt der Street-Art-Künstler Dariusz Paczkowski und zeigt auf das riesige Bild, das er mit einem Dia-Projektor an eine Warschauer Hauswand geworfen hat. Ein junger Mann im Mantel ist darauf zu sehen. In seiner hoch erhobenen Faust hält er eine Osterglocke. Darunter steht "Marek Edelman".

Das Gemälde, das der rauschebärtige Paczkowski mit freiwilligen Helfern auf der Hauswand verewigen will, ist eine Hommage an Edelman. Er war einer der Kommandanten des jüdischen Aufstandes im Warschauer Ghetto, der vor 70 Jahren begann, am 19. April 1943. Ein Teil der eingeschlossenen jüdischen Bewohner setzte sich damals gegen die Verschleppung in Vernichtungslager zur Wehr. Am 16. Mai 1943 erklärte die SS den Aufstand für beendet. Die Kämpfe mit den deutschen Truppen, die Brandbomben und die Deportationen überlebten nur wenige.

"Die Vergangenheit ist unser Lehrer"

Marek Edelman, damals Anfang 20, gehörte zu ihnen. Er war am Ende der letzte lebende Befehlsgeber des Aufstandes. Jedes Jahr, bis zu seinem Tod im Jahr 2009, legte er bei einem privaten Gang vor dem Ghetto-Denkmal gelbe Blumen zum Andenken an die Ermordeten nieder. In seinen letzten Lebensjahren begleiteten ihn spontan immer mehr Menschen. Nun, kurz vor den Feierlichkeiten zum Jahrestag des Aufstandes, ist er in der polnischen Öffentlichkeit wieder präsent, verschollene Radiobeiträge, Reden und Interviews werden publiziert.
 

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Über den Nachlass des streitbaren Zeitzeugen waltet Paula Sawicka. Die studierte Psychologin und ihr Mann Miroslaw pflegten Edelman in seinen letzten zwei Lebensjahren. Sie war es auch, die Paczkowski ein altes Foto Edelmans gab. Am Comic-Stil des Street-Art-Künstlers stört sie sich nicht, "denn Edelman kann man als modernen Helden sehen", findet Sawicka. 

"Die Vergangenheit ist unser Lehrer" sei Edelmans Leitspruch gewesen, er habe sich lebenslang für die Schwachen eingesetzt. Nach dem Krieg wurde er Kardiologe, entwickelte neue Methoden gegen den Herzinfarkt, begleitete auch persönlich die Sterbenden. Später engagierte Edelman sich für Arbeiterrechte in der Gewerkschaft Solidarnosc, in den 90er Jahren reiste er nach Sarajevo, um sich für die bedrängten bosnischen Muslime einzusetzen.

Zeit seines Lebens wehrte sich der ehemalige Kommandant des Aufstandes auch dagegen, den Juden im Zweiten Weltkrieg eine passive Opferrolle zuzuschreiben. Einen "Tränenkult" derer, die nicht direkt von den Massenmorden an den Juden betroffen waren, lehnte er schroff ab, Religionen sah er als "Quelle des Fundamentalismus", sagt Sawicka. Der Umgang mit Edelman war nicht einfach, dies bezeugen viele. "Du bist viel zu fett, um zu wissen, was Hunger bedeutet", bescheinigte er einst einem beleibten Gegenüber.

"Warum interessiert niemanden das Thema Liebe?"

Als Zeitzeuge wollte Marek Edelman am Ende seines Lebens nicht nur allein über das Kämpfen und Sterben im Ghetto Auskunft geben. Aus seinen Erzählungen waren bereits einige Bücher entstanden, darunter eine Schulpflichtlektüre in Polen. "Warum interessiert niemanden das Thema Liebe?" fragte er. Es sei im Ghetto das wichtigste gewesen, einen nächsten Menschen zu haben. 

Das kürzlich in Deutschland erschienene Buch die "Die Liebe im Ghetto" enthält seine letzten Geschichten. Neben der Liebe zwischen Mann und Frau geht es um Loyalität und Freundschaft. "So konnten die Menschen Menschen bleiben", erklärt Paula Sawicka, die die Begebenheiten für ihn aufschrieb.

Dariusz Paczkowski hingegen will mit seinem Werk auch diejenigen erreichen, die kaum zu Büchern greifen. Das Street-Art-Bild an der Hauswand im ehemaligen Ghetto-Distrikt, das am 18. April enthüllt wird, richtet sich an die internetbezogene Jugend: Sie werden vorbeilaufen, das Bild sehen und dann nach "Marek Edelman" googeln, hofft der Künstler.

Buchhinweis:

Marek Edelman: Die Liebe im Ghetto. Aufgezeichnet von Paula Sawicka. Verlag Schöffling und Co. März 2013. 176 Seiten, 18,95 Euro

Paula Sawicka und die deutsche Übersetzerin Joanna Manc sind im April auf Lesereise in Hamburg, Lübeck, Frankfurt a.M., Essen und Gießen. Termine unter: www.schoeffling.de/termine/autor/marek-edelman