Panikstörung: Im Strudel der Angst

Foto: epd-bild/H.-D. Falkenstein
Panik kann einen Menschen fesseln.
Panikstörung: Im Strudel der Angst
Herzrasen im Bus, Todesangst im Kaufhaus - Menschen, die unter einer Panikstörung leiden, hilft eine Therapie: Sie müssen die angstmachenden Situationen bewusst aufsuchen. Forscher konnten jetzt zeigen, dass die Therapie das Gehirn verändert.
22.06.2013
epd
Stefanie Walter

Eisregen. Eva Schaupp (Name geändert) fuhr extrem langsam. Doch an einer Brücke passierte es: Ihr Wagen überschlug sich. "Ich sah Lebensstationen an mir vorbeiziehen", erinnert sie sich. Wie durch ein Wunder blieb sie unverletzt. Ein junges Paar sammelte sie an der Straße auf, fuhr sie nach Hause, und Schaupp konnte in ihren Alltag zurückkehren - das dachte sie zumindest.

Wenn Eva Schaupp heute zurückblickt, war es dieser Unfall, mit dem ein anderes Leben begann. Schleichend zogen Ängste ein: Zuerst hörte sie auf, im Winter Auto zu fahren. Dann fürchtete sie sich, wenn sie über eine Brücke ging. Sie bekam Höhenangst. Im Kaufhaus in einer Schlange stehen, die Nähe vieler Menschen, Busfahren - alles machte ihr Angst. "Ich habe befürchtet, verrückt zu sein."

Als überraschend ihr Hund starb, erlebte sie eine Panikattacke: "Ich hatte Todesangst, mit körperlichen Symptomen, die einem Herzinfarkt so ähnlich waren, dass ich mit Blaulicht ins Krankenhaus kam." Die Ärzte fanden nichts.

Verhaltenstherapie hilft bei "erlernter Angst"

Eva Schaupps Geschichte zeigt den typischen Verlauf einer Panikstörung. Wie in einem Strudel nehmen die Ängste zu. Die Panikstörung sei lange bekannt und gut untersucht, erklärt die Marburger Psychologin Katrin Wambach. Zwei bis acht Prozent der Bevölkerung leiden im Laufe ihres Lebens darunter. Aber es gibt eine wirksame Therapie, die Verhaltenstherapie. Erstmals konnten jetzt Forscher zeigen, wie sie sich auf das Gehirn der Patienten auswirkt.

Es handele sich um die weltweit größte Studie zum Effekt von Psychotherapie auf das Gehirn, schreiben die Autoren um den Marburger Psychiater Tilo Kircher. An der Studie beteiligten sich neben der Marburger Uni auch die Universitäten Berlin, Dresden, Greifswald, Münster und Würzburg.

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Die Forscher gehen davon aus, dass bei einer Panikstörung im Gehirn Lernprozesse stattfinden. Zum Beispiel so: Jemand rennt dem Bus hinterher, erwischt ihn gerade noch, das Herz schlägt wie wild. Er interpretiert die Symptome falsch, hat Angst vor ihnen und achtet zugleich verstärkt darauf, ob sie wiederkehren - eine "erlernte Angst", sagt der Marburger Psychologe Benjamin Straube.

Die Angst schaukelt sich hoch zu Herzrasen, Schwitzen und dem Gedanken, sterben zu müssen. Die Betroffenen meiden Situationen, in denen sie schwer Hilfe finden: im Bus, im Kaufhaus oder in fremder Umgebung. "Menschen mit einer Panikstörung sind meist körperlich gesund, leiden aber unter starken Beeinträchtigungen", schildert Straube. Manche verlieren den Arbeitsplatz, ihre Partner müssen sie ständig begleiten, sie kommen in die Notaufnahme und werden medizinisch komplett durchgecheckt.

Belastende Situationen bewusst aufsuchen

Die Forscher untersuchten rund 370 Patienten. "Wir haben zwei Gruppen gebildet", erklärt Straube. Alle Patienten sollten lernen, ihre Angst zu überwinden, indem sie die belastenden Situationen bewusst aufsuchten. Eine Gruppe hatte einen Therapeuten dabei, die andere musste sie allein bewältigen. Alle wurden darauf vorbereitet. 

"Stundenlang musste ich Fahrstuhl fahren", erzählt Eva Schaupp. Ihr Therapeut fuhr mit ihr nachts auf der Autobahn. "Wir haben in Frankfurt alle Kaufhäuser abgeklappert. "In einen iPod tippte sie auf einer Skala von eins bis zehn den Grad ihrer Angst ein. "Es war knallharte Arbeit, anstrengend und kräftezehrend."

Die Forscher untersuchten das Gehirn ihrer Patienten in einem funktionellen Magnetresonanztomographen (fMRT), einer riesigen Röhre, in die die Patienten geschoben werden - eine Herausforderung für Panikpatienten, wie Straube zugibt. Zweimal scannten sie das Gehirn, vor und nach der Therapie.

"Ich fühle mich befreit und habe eine ganz andere Lebensqualität"

Benjamin Straube ruft an seinem Computer drei Bilder auf: Sie zeigen die walnussförmige Struktur des Gehirns. Der Wissenschaftler deutet auf rote und gelbe Flecken. Vor der Therapie war eine vordere Hirnregion, der linke Gyrus frontalis inferior, besonders aktiv. Nach der Therapie hatte sich die Region wieder auf ein normales Niveau reduziert. Die Region ist zuständig für Sprachverarbeitung, Aufmerksamkeit, Entscheidungsfindung und die Regulierung von Gefühlen - hat also erst mal gar nichts mit Angstverarbeitung zu tun, wie die Wissenschaftler überrascht feststellten.

Was die Psychologen schon wussten, konnten sie jetzt im Gehirn nachweisen: Die Therapie wirkt. "Man kann durch Training und Lernerfahrungen Gehirnprozesse verändern", resümiert Straube. 

Auch Eva Schaupp hat das geschafft. "Ich fühle mich befreit und habe eine ganz andere Lebensqualität." Doch die Angst kann wiederkehren, das Gehirn kann sich zurück verändern. "Ich werde immer weiter an mir arbeiten müssen", weiß Schaupp. Nach wie vor sei Autofahren für sie das Schlimmste. Es gebe noch immer Situationen, in denen sie das Auto eigentlich lieber stehenlassen würde. "Aber ich kann anwenden, was ich gelernt habe." Sie steigt dann einfach ein.