"Ein innerer Krieg von Männern gegen Frauen"

Eine Frau versucht sich vor einem gewalttätigen Mann zu schützen.
Foto: dpa/Maurizio Gambarini
Gewalt von Männern gegen Frauen kommt in allen Ländern der Erde und in allen gesellschaftlichen Schichten vor.
"Ein innerer Krieg von Männern gegen Frauen"
Gewalt gegen Frauen gibt es überall auf der Welt, und es gibt zu viel davon. Das haben die Vergewaltigungsfälle in Indien und Südafrika gezeigt, denen in den vergangenen Wochen große Medienaufmerksamkeit zuteil wurde. Im Interview spricht Monika Hauser vom Verein Medica Mondiale über die Gründe für diese Gewalt und ob man weltweit etwas dagegen tun kann.

In Indien und in Südafrika starben zwei Mädchen, nachdem sie von mehreren Männern vergewaltigt und misshandelt worden waren. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Armut und sexueller Gewalt gegen Frauen?

Monika Hauser: Generell würde ich davor warnen, sexualisierte Gewalt nur da zu sehen, wo Armut herrscht. Diese Art der Gewalt kommt in allen Schichten, Berufsgruppen, ethnischen Hintergründen, religiösen Zusammenhängen vor. Denken Sie an Berlusconi oder Strauss-Kahn. Das sind mächtige Männer in europäischen Demokratien, die ganz klar eine Grenze überschritten haben.

Aber trotzdem scheint es häufiger dort Gewalt gegen Frauen zu geben, wo die Lebensbedingungen insgesamt schlechter sind. Also Schwellenländer oder Krisenregionen. Worin liegen die Gründe für Gewalt gegen Frauen in solchen Regionen?

Hauser: Nach wie vor haben wir patriarchale Lebensbedingungen weltweit. Noch immer gibt es Geschlechterdiskriminierung und männliche Geschlechterdominanz, ob in Industriestaaten oder in Schwellenländern. Durchaus aber mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Erinnern Sie sich an den Aktionstag "One Billion Rising" vor einigen Wochen? Frauen in allen Ländern haben immer wieder genügend Gründe aufzustehen gegen Gewalt, gegen das Tabuisieren, gegen das Verschweigen und gegen die Angst dagegen zu kämpfen.

Kann man sagen: Je patriarchaler die Strukturen in einer Gesellschaft, desto höher der Anteil sexualisierter Gewalt gegen Frauen?

Hauser: Auf jeden Fall kann man das so sagen. Sicherlich sind die Zahlen in den skandinavischen Ländern nicht umsonst niedriger als anderswo. Aber auch hier muss ich darauf bestehen, dass sie noch lange nicht niedrig sind. Das zeigt, dass auch in den optimalsten Gesellschaften mit dem größten Wohlstand, der größten öffentlichen Demokratie und der meisten Gleichberechtigung, in diesem Punkt noch einiges zu tun ist.

"Gewalt als normales Mittel der Konfliktlösung"

Wenn wir jetzt ans andere Ende der Linie gehen, dann kommen wir in die Regionen, wo auch Sie als NGO tätig sind: Afghanistan oder die Demokratische Republik Kongo. Wie sieht es dort aus?

Hauser: Natürlich sehen wir eine erhöhte Vulnerabilität der weiblichen Bevölkerung in Regionen, wo es keine funktionierenden Staatsstrukturen, keine Rechtssicherheit gibt. Dort ist auch, Ihrer Grundannahme entsprechend, der allgemeine Armutspegel sehr hoch. Hier sind Frauen und Kinder in einem erhöhten Maße verletzlich. Das heißt, sie befinden sich vermehrt in ungeschützten Situationen, also in Slums oder Flüchtlingslagern. Sie sind häufiger gefangen in Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnissen. Sie müssen sich sogar in solche hinein begeben, um für sich und ihre Kinder das Überleben zu garantieren. Sie sind auf gewalttätige Ehemänner oder Prostitution angewiesen. Der Anteil an Überlebensprostitution in diesen Ländern ist immens.

Was ist mit den Männern? Woher kommt die Gewaltbereitschaft?

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Hauser: Wie gesagt, auch scheinbar biedere, anständige Männer in unseren Breitengraden sind zu großer Gewalt gegen Frauen fähig. Arbeitslose, alkohol- oder drogenabhängig Männer sind häufig psychisch instabil, und ihre Bereitschaft gewalttätig zu werden, ist sehr hoch. Ähnliches lässt sich auch in Nachkriegsgesellschaften beobachten, wo Rebellen keine Programme zur Rehabilitierung erfahren. Hier nehmen Männer Gewalt als normales Mittel der Konfliktlösung mit in ihr ziviles Leben und üben sie im Nachkriegskontext weiter aus.

In Afghanistan hat die internationale Militärintervention viel Schaden verursacht und zu einer weiteren Brutalisierung der einheimischen Männer geführt. In Südafrika ist frühere Gewalt nie wirklich im traumatherapeutischen Sinne aufgearbeitet worden – trotz der Wahrheitskommisssion, in der übrigens sexualisierte Gewalt kaum ein Thema war. Man ist von der Apartheid einfach in die neue demokratische Phase übergegangen, ohne kollektive Aufarbeitungsmöglichkeiten. Die Gewalt, die diese Menschen über Jahrzehnte hinweg erfahren haben, hat aus Opfern oft Täter gemacht. Die Gewalt wirkt weiter und sie wirkt transgenerationell. Das heißt, sie wirkt in die nächsten Generationen hinein.

Sie erwähnten vorhin unsichere Staatsstrukturen und fehlende Rechtssicherheit. Täter werden nicht zur Verantwortung gezogen. Welche Rolle spielt der Aspekt der Straffreiheit?

Hauser: Ich würde nicht von Straffreiheit, sondern von Straflosigkeit sprechen. Selbst in einem Land wie der demokratischen Republik Kongo oder in Afghanistan haben wir Gesetze, die sexualisierte Gewalt unter Strafe stellen. Frauen haben für diese Gesetze gekämpft. Sie werden aber von den Richtern und Staatsanwälten nicht umgesetzt, weil begleitende Fortbildung und Aufklärung fehlt. Und das ist eines der größten Probleme überhaupt: Nicht Straffreiheit sondern Straflosigkeit der Täter bei bestehender Gesetzeslage.

"Wir haben in diesen Gesellschaften einen inneren Krieg von Männern gegen Frauen"

Warum werden die Gesetze nicht angewendet?

Hauser: Da sehe ich wieder den Zusammenhang von Armut und Korruption. Wir sehen durchaus, dass die Mädchen und ihre Familien die Männer anzeigen wollen, die ihre Töchter vergewaltigt haben. Aber mit ein paar Dollars können die sich frei kaufen.

Sie bezahlen den Familien Geld, damit sie nicht angezeigt werden?

Hauser: Entweder das oder wenn die Täter bekannte Persönlichkeiten im Ort, also der Bürgermeister, Lehrer, oder der Polizeichef sind, dann können die sich wiederum mit ein paar Dollars in den Strukturen wieder frei kaufen.

Also ist die Korruption eines der wesentlichsten Hindernisse, um Täter anzuklagen und zu betrafen.

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Hauser: Ja, definitiv. Straflosigkeit ist immer ein klares Signal an die Männer, dass sie sich nehmen können, was sie wollen, weil ihnen ja sowieso nichts passiert. Und an die Frauen, dass es kein großes Unrecht ist, was ihnen geschehen ist, sonst würde es ja bestraft werden. Wir haben in diesen Gesellschaften einen inneren Krieg. Den Krieg von Männern gegen Frauen. Den haben wir in Indien, den haben wir zunehmend auch in Ägypten. In all diesen Ländern, die sich in Übergangsphasen befinden und damit einhergehend eine gewisse Regellosigkeit. Wo die Männer nichts zu befürchten haben, agieren sie ihre Gewalt auf diese Weise aus.

Was mich erschüttert hat an den beiden Fällen in Indien und Südafrika, war das Maß der Brutalität, das den beiden Frauen widerfahren ist. Das war eine Gewaltorgie! Gibt es denn so etwas auch in anderen Gesellschaften?

Hauser: Das sind nun Fälle, die weltweit bekannt geworden sind. In all diesen Gesellschaften, den indischen, afghanischen, südafrikanischen kommt das jeden Tag vor. Wo es komplette Straflosigkeit gibt, da wird diese Gewalt auch wirklich ausgelebt. Das ist in Deutschland in dieser Form quantitativ nicht in gleichem Maße der Fall. Aber wir sehen auch hier immer wieder Fälle von ganz besonderer Brutalität, wo man sich fragt: Was war mit diesem Mann los, was wütete da in ihm?

"Man muss vor allem auch mit den Männern arbeiten"

Können Sie sich erklären, warum gerade diesen beiden Fällen so viel mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde?

Hauser: In Indien ist es sicherlich ein Grund, dass das Mädchen aus der Mittelschicht kam, denn Frauen aus den unteren Schichten werden jeden Tag vergewaltigt und umgebracht. Das registriert nur niemand. Zudem gärt es in der indischen Gesellschaft. Die Frauen haben die Schnauze voll, von der Gewalt, die allgegenwärtig ist, in den Familien, im Freundeskreis.

Nun gab es ja auch Demos in den Ländern selbst. Glauben Sie, dass sich dort etwas bewegt?

Hauser: Es ist definitiv nie nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, auch wenn es so scheinen mag, angesichts der überwältigenden Dimension von Gewalt. Es ist immer wieder ein Tropfen mehr und es sind wieder mehr Frauen für das Thema sensibilisiert und auch Männer. Feministische Arbeit ist Sisyphusarbeit und braucht eine hohe Frustrationstoleranz. Aktivistinnen weltweit wissen das und machen trotzdem weiter, weil es keine Alternative gibt.

Was kann man gegen die Gewalt tun?

Hauser: Man muss die Menschen aufklären, für das Thema sensibilisieren und vor allem auch mit den Männern arbeiten. Die südafrikanische NGO Sonke Gender Justice Network bietet speziell für Männer Programme an, wo sie ihr eigenes Gewaltverhalten reflektieren und darüber sprechen.

Was läuft falsch in der Medienberichterstattung?

Hauser: Die Medien berichten, wenn es gerade wieder einen spektakulären Fall gibt. Ich wünsche mir eine angemessene und langfristige Aufmerksamkeit von Journalistinnen und Journalisten für das Thema sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Sie können einen wichtigen Beitrag leisten gegen die Individualisierung der Fälle und für mehr gesellschaftliche Aufklärung sorgen.