Aufarbeitung des kirchlichen Missbrauchs gerät ins Stocken

Puppe liegt am Boden
Foto: iStockphoto/Duncan Walker
Der Missbrauchsskandal hat die katholische Kirche in den vergangenen Jahren schwer erschüttert.
Aufarbeitung des kirchlichen Missbrauchs gerät ins Stocken
Die katholische Kirche hat die Zusammenarbeit mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des sexuellen Missbrauch beendet. Wie soll es weitergehen? Das Bundesjustizministerin fordert Aufklärung.

Grund für die Kündigung sei das zerrüttete Vertrauensverhältnis zum Leiter des Projekts, dem Kriminologen Christian Pfeiffer, sagte der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, am Mittwoch. Der Wissenschaftler wiederum sagte, das Projekt sei "an den Zensur- und Kontrollwünschen der Kirche gescheitert". Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verlangte vom Bischofskonferenz-Vorsitzenden, Erzbischof Robert Zollitsch, Aufklärung.

Pfeiffer zufolge wollte die katholische Kirche darüber entscheiden, ob und wie Forschungsergebnisse publiziert werden. Zudem habe er Hinweise, wenn auch keine Beweise, für die Vernichtung von Akten erhalten. Auf eine entsprechende Anfrage seinerseits hätten die Bischöfe nicht reagiert, sagte der Institutsdirektor dem epd.

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Bischof Ackermann beklagte das Kommunikationsverhalten von Pfeiffer, das der weiteren Zusammenarbeit die Vertrauensgrundlage entzogen habe. "Vertrauen ist aber für ein so umfangreiches und sensibles Projekt unverzichtbar", sagte Ackermann. Der Vertrag mit dem Institut in Hannover ist laut Bischofskonferenz mit sofortiger Wirkung gekündigt worden. Noch nicht benötigte Forschungsgelder sollen zurückgefordert werden.

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger stellte sich hinter das Kriminologische Forschungsinstitut. Die Einrichtung sei eine "der ersten Adressen, um eine unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung auf Grundlage der Personalakten seit 1945 vorzunehmen", sagte sie der "Süddeutschen Zeitung (Donnerstagsausgabe). Es sei ein "notwendiger und überfälliger Schritt", dass die katholische Kirche kirchenfremden Fachleuten Zugang zu den Archiven ermögliche "Die dramatischen Erschütterungen des Jahres 2010 dürfen nicht in einer halbherzigen Aufarbeitung versickern", fügte das Regierungsmitglied hinzu. Die Zensur-Vorwürfe sollten schnell aus der Welt geschafft werden.

"Stehen wieder am Anfang"

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, bedauerte das Scheitern des Forschungsprojekts zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Das Vorhaben sei ein wichtiges Signal gewesen, sagte Rörig dem epd. Die Opfergruppe "Eckiger Tisch" verlangte eine unabhängige Aufarbeitung des Missbrauchs in katholischen Einrichtungen. Die katholische Kirche sei offensichtlich damit überfordert. Drei Jahre nach dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals stehe man wieder am Anfang, beklagte die Betroffenenorganisation.

Die katholische Reformbewegung "Wir sind Kirche" wertete die Aufkündigung der Zusammenarbeit als "verheerendes Signal" für die Glaubwürdigkeit der Kirchenleitung. Die seit 2010 eingeleiteten Maßnahmen könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bischöfe bisher immer noch nicht zu einer unabhängigen Ursachenforschung sexualisierter Gewalt bereit seien.

Bedford-Strohm: Verantwortung gegenüber Opfern

Der bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm fordert Transparenz im Umgang mit Missbrauchsfällen. Was passiert sei, müsse "in aller Offenheit auf den Tisch kommen", sagte der Bischof in München. Die Kirchen hätten eine Verantwortung den Opfern gegenüber. Dazu gehörten aber auch datenschutzrechtliche Erwägungen, weil es um sehr persönliche Dinge gehe.

Die 2011 vereinbarte Untersuchung sollte die Fälle sexueller Übergriffe von Priestern und weiteren Kirchenleuten seit dem Jahr 1945 aufarbeiten. Das Forschungsprojekt war auf drei Jahre angelegt. Akten aller Diözesen sollten auf Missbrauchsfälle untersucht und sämtliche Opfer schriftlich befragt werden. Auch Interviews mit Tätern waren vorgesehen.

Kirche sucht neuen Kooperationspartner

Ackermann kündigte an, dass die Kirche die wissenschaftliche Aufarbeitung des Missbrauchsskandals fortsetzen wolle. Dafür werde ein neuer Partner gesucht. Pfeiffer stellte eine eigene Untersuchung zum kirchlichen Missbrauch unter freiwilliger Teilnahme der Betroffenen in Aussicht. Er rief Missbrauchsopfer auf, mit dem Forschungsinstitut in Hannover Kontakt aufzunehmen. 

Gestritten wurde nach Angaben der Bischofskonferenz um die Nutzung der Daten und Forschungsergebnisse und datenschutzrechtliche Fragen. Dabei ging es um die Anonymisierung personenbezogener Daten geplanter Opfer- und Täterinterviews sowie darum, ob und wie lange sensiblen Unterlagen aufbewahrt werden. "Dies hat nichts mit einer Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit zu tun, sondern ausschließlich mit der Sicherung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen", sagte der Sekretär der Bischofskonferenz, Hans Langendörfer.

"Keine Anhaltspunkte" für Aktenvernichtung

Langendörfer wies zudem den Verdacht der Aktenvernichtung aus Vertuschungsgründen zurück. "Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte", sagte er. Zum Vorwurf, Wissenschaftsfreiheit zu beschneiden, entgegnete Langendörfer, es sei nie um eine inhaltliche Zensur von Pfeiffers Arbeit gegeben. Vertraglich sei lediglich vereinbart worden, dass Pfeiffer vor Auftritten oder Beiträgen in den Medien Rücksprache mit der katholischen Kirche hält. Auch der Sprecher des Erzbistums München wies Vorwürfe zurück: "Es besteht und bestand nie der Wunsch nach Zensur."