Selbsthilfe für ungläubige Pastoren

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Zwischen Gottesfurcht und Zweifeln: Was ist, wenn Pfarrer nicht mehr glauben können?
Selbsthilfe für ungläubige Pastoren
Rund 230 US-amerikanische Pastoren, die ihren Glauben verloren haben, treffen sich in der Selbsthilfegruppe "Clergy Project". Die Ex-Geistlichen tauschen sich im Internet aus. Auf Wunsch anonym, denn mancher gottlose Geistliche ist noch im Amt.
24.05.2012
epd
Konrad Ege

Wenn Jerry DeWitt davon erzählt, wie er seinen Glauben verloren hat, wählt er drastische Worte: Der 42-Jährige spricht von einer "grausamen Erfahrung" und vom "Identitätssuizid". Jerry DeWitt, verheiratet und Vater eines Sohnes, war Pastor. Im vergangenen Jahr hat er "ausgepackt" über seinen Unglauben. DeWitt hat fast alles verloren: Seine Gemeinde, seinen Beruf, seine Freunde, sein Gehalt. Im Internet bekommt er beim "Clergy Project" Unterstützung.

Wie viele US-amerikanische Pastoren nicht mehr glauben können, ist unbekannt. Der Philosoph Daniel Dennett aus Massachusetts, selbst Atheist, kam jedoch zum Schluss, dass die Dunkelziffer beträchtlich ist. Dennett geht davon aus, dass viele Pastoren einen klaren Bruch scheuen. Von den 230 Pastoren, die sich im Internet beim "Clergy Project" zusammengefunden haben, sind viele noch im Amt. Der Übergang vom Pastorenleben zum weltlichen Leben ist schwierig.

Vom langsam wachsenden Zweifel

Bei DeWitt, der in dem Städtchen DeRidder ziemlich weit im Süden des Bundesstaates Louisiana lebt, wuchs der Zweifel langsam. Gut zwei Jahrzehnte war er begeistert und von Herzen Pastor. Er leitete zwei charismatische Gemeinden in Louisiana, war eine Zeit lang sogar Wanderprediger. Mit 17 habe er in der Kirche des Fernsehpredigers Jimmy Swaggart zu Jesus gefunden, erzählt er.

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Er habe nie seinen Glauben verlieren wollen, beteuert DeWitt. Vielmehr habe er von jung an die Bibel studiert, theologische Bücher gelesen in der Hoffnung, tiefer in den Glauben einzudringen. Dabei wuchs in ihm der Zweifel. Zu viele Widersprüche habe er entdeckt und an der Wirkung von Gebeten gezweifelt.

"Das hat mir so weh getan"

In Vorträgen spricht DeWitt von einem einschneidenden Erlebnis im vergangenen Mai: Eine Frau aus der Gemeinde bat ihn, für ihren Bruder zu beten nach einem schweren Motorradunfall. "Aber ich konnte nicht... Ich hatte den Wunsch, Worte sagen zu können... um das Leiden ihres Bruders zu lindern. Aber ich konnte nicht, und das hat mir so wehgetan," sagt der Ex-Pastor, der annimmt, im frommen Louisiana meilenweit der einzige bekennende Ungläubige zu sein.

In den USA sind geschätzt 500.000 Pastoren im Amt. Die Zahl der nicht-gläubigen US-Amerikaner nimmt zu. Etwa 15 Prozent der US-Amerikaner gehören Umfragen zufolge keiner Religionsgemeinschaft an. Drei Viertel der US-Amerikaner bezeichnen sich aber nach wie vor als Christen.

Jim Burklo und die Bibel

Nicht jeder Geistliche hat freilich ein so streng bibeltreues Gottesbild wie DeWitt, das bei ihm letztlich zum Bruch führte. Der Pastor und in liberalen christlichen Kreisen viel gelesene Autor Jim Burklo warnt etwa vor einem allzu gesetzlichen Glauben. Es sei nicht wichtig, ob man die Bibel wörtlich nehme oder das Glaubensbekenntnis Wort für Wort glaube. Wenn etwas "keinen Sinn macht, mach dir keine Sorgen", sagt Burklo. Jesus habe den Jüngern keine Dogmenliste vorgelegt, sondern sie aufgefordert, ihm und seinem "Weg der Liebe" nachzufolgen.

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Leiterin des im vergangenen Jahr gegründeten "Clergy Project" ist die ehemalige Methodisten-Pastorin Teresa MacBain. Neun Jahre lang war sie Pastorin in Florida, nun kümmert sie sich um Pastoren, die den Glauben an Gott verloren haben. Über die Internetseite www.clergyproject.org können Geistliche Kontakt miteinander aufnehmen - anonym, denn so mancher Pastor arbeitet noch in einer christlichen Gemeinde. Finanziell unterstützt wird die Plattform von der "Richard Dawkins Foundation for Reason and Science" des britischen Evolutionsbiologen und Atheisten Dawkins.

Ein nervenaufreibendes Doppelleben

MacBain sagte unlängst dem Rundfunksender NPR, sie habe schon immer harte Glaubensfragen gestellt. Sei Jesus der einzige Weg zur Erlösung? Könne ein liebender Gott Menschen zur Hölle verdammen? Eine Weile habe sie ein nervenaufreibendes Doppelleben geführt als Pastorin mit immer größer werdenden Fragen. Dann habe sie gemerkt, die Einzelfragen sind nicht das wirkliche Problem. Sie habe realisiert: "Ich bin Atheistin. Ich glaube nicht." Das sei befreiend gewesen.

Jerry DeWitt will sich nicht unbedingt als Atheist bezeichnen. Denn die Nichtexistenz Gottes lasse sich auch nicht beweisen, sagt er. Er sehe sich eher als Humanist, einer, der die Gesellschaft verbessern will. Das "Clergy Project" hält er aber für wichtig, denn die ungläubigen Pastoren seien doch eine kleine Minderheit.