Für viele Menschen in Deutschland beginnt die Weihnachtszeit erst richtig mit den fünf berühmten Paukenschlägen und dem sich anschließenden "Jauchzet, frohlocket". Das Weihnachtsoratorium von Johannes Sebastian Bach ist ein Klassiker. Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sprach der Dirigent und renommierte Bach-Experte Hans-Christoph Rademann über Gründe für die weltweite Bach-Begeisterung, die Suche nach Spiritualität in der Vorweihnachtszeit und darüber, was die Kirchen hierzulande von Bach lernen können.
epd: Herr Prof. Rademann, Bachs Weihnachtsoratorium gehört zu den populärsten Werken der Musikgeschichte. Seine Klänge erreichen auch Menschen, die sonst mit dem christlichen Glauben gar nichts anfangen können. Warum?
Hans-Christoph Rademann: Bachs Weihnachtsoratorium ist Teil des kollektiven Bewusstseins. Auch Menschen, die nicht religiös sind, feiern inbrünstig Weihnachten und suchen Spiritualität. Die finden sie ganz einfach in dieser Musik Bachs. Dieser Komponist war ein Genius! Mit seiner Musik konnte Bach den göttlichen Glanz hier auf Erden widerspiegeln und Menschen miteinander verbinden.
Ob in Japan oder Korea, Australien oder Südafrika. Wo auch immer Menschen das "Jauchzet, frohlocket" hören oder "Ich steh’ an Deiner Krippen hier", sind sie ergriffen. Und das seit Jahrhunderten. Was ist das Geheimnis?
Rademann: Das ist wirklich interessant: Bach hat beim Eingangschor auf eine weltliche Geburtstagskantate für Maria Josepha, Kurfürstin von Sachsen und Polen, zurückgegriffen. Es ist ein dermaßen mitreißender Satz, dass ihn auch Menschen auf der ganzen Welt als sehr festlich und strahlend empfinden. Der Choral "Ich steh’ an Deiner Krippen hier" klingt ja demütig und ergeben. Aber ist es nicht Zeichen eines großen Selbstwertgefühls, dass sich die Menschen selbst verschenken? "Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn, Herz, Seel und Mut, nimm alles hin und lass Dir's wohlgefallen", heißt es im Text. Das sind Grundgedanken, die alle Menschen faszinieren können. Bachs Musik als Medium funktioniert deshalb so gut, weil sie aus seinem Herzen direkt entsprungen ist, er hat das geglaubt. Vielleicht ist das ein Prinzip des Lebens - Nehmen, Danken und Geben -, das zu Weihnachten verständlich wird.
"Glaubensfragen offen ansprechen"
Was kann die Kirche von Bachs Kompositionstechnik im Weihnachtsoratorium lernen, um ihre Botschaft emotional und nachhaltig zu vermitteln?
Rademann: Für mich könnte die Antwort heißen: nicht allein nach dem Publikumsgeschmack schauen, sondern inhaltlich klar sein, die Glaubensfragen offen ansprechen und Ordnungsprinzipien ganz oben anstellen. Bachs Musik ist in sich stimmig und organisch. In seiner gesamten Musik spiegelt sich seine große Demut vor dem Schöpfer aller Dinge wider. Mit seinen Kompositionen erreicht Bach den Menschen in seinem Innersten und bringt Ordnung in seine Seele.



