Berlin (epd). Im Verteidigungsausschuss des Bundestags haben Expertinnen und Experten kontrovers über das neue Wehrdienstgesetz diskutiert. Der Gesetzentwurf sei „ein weiteres Dokument des Zögerns und Zauderns“, sagte der Militärhistoriker Sönke Neitzel bei der Experten-Anhörung des Ausschusses am Montag. Der Entwurf setze zu sehr auf Freiwilligkeit. Auch andere Militärexperten forderten verpflichtende Elemente, während Jugendvertreter für eine stärkere Beteiligung junger Menschen am Gesetzgebungsprozess plädierten.
„Für einen raschen personellen Aufwuchs der Bundeswehr wäre die Einführung einer Auswahlwehrpflicht zwingend notwendig“, sagte Historiker Neitzel von der Universität Potsdam. Auch Oberst André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbands, kritisierte, dass die Bundesregierung beim Personalaufbau „auf das Prinzip Hoffnung mit Blick auf die freiwilligen Meldungen“ setze. Wie Neitzel forderte auch Wüstner, bereits jetzt einen „Umschaltmechanismus“ im Gesetz zu verankern, falls sich nicht genug Freiwillige meldeten.
Bei einer Auswahlwehrpflicht soll der gesamte Jahrgang erfasst und gemustert werden und eine bestimmte Anzahl je nach Bedarf der Bundeswehr verpflichtend eingezogen werden. So könne die Bundeswehr besser planen und auch Wehrdienstleistende dort einsetzen, wo sie besonders gebraucht werden, argumentieren die Befürworter. Laut Neitzel wird diese Art des Wehrdienstes in Norwegen, Schweden und Dänemark schon praktiziert.
Entwurf sieht verpflichtende Musterung ab 2027 vor
Über das Wehrdienstmodernisierungsgesetz von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wird seit Monaten intensiv debattiert. Es sieht vor, durch zunächst einen verpflichtenden Fragebogen und freiwillige Musterung mehr Bundeswehr-Personal zu gewinnen. Ab 2025 müssen demnach alle Männer, die 18 Jahre alt werden, den Fragebogen ausfüllen. Die Union fordert Vorkehrungen für eine Dienstpflicht, falls sich zu wenige Freiwillige melden. Ihr Vorschlag: junge Männer per Los zur Musterung einladen und notfalls verpflichten. Der Regierungsentwurf hingegen sieht ab 2027 eine verpflichtende Musterung für alle jungen Männer vor, um ein vollständiges Lagebild zu erhalten.
Der ehemalige Generalleutnant Joachim Wundrak plädierte hingegen für die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht. Er schlug vor, alle Männer ab dem Jahrgang 2008 für einen dreimonatigen Grundwehrdienst einzuziehen. Für alle, die den Kriegsdienst verweigern, könne man einen Ersatzdienst von mindestens neun Monaten vorsehen.
Unterstützung für den Gesetzentwurf kam dagegen von dem Präsidenten des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr, Robert Sieger. Der Gesetzesentwurf ermögliche Bewerberinnen und Bewerbern, „schon ab einer Dienstzeit von sechs Monaten direkt als Soldatinnen und Soldaten auf Zeit eingestellt zu werden“, sagte er. Dies sei sinnstiftend und mache „den persönlichen Einsatz für den Schutz der eigenen Heimat greif- und erlebbar“. Zudem steigerten ein höherer Sold und ein Zuschuss zum Führerschein die Attraktivität des Dienstes.
Jugendvertreter: Junge Menschen verunsichert
Jugendvertreter mahnten an, bei der Reform die Interessen junger Menschen einzubeziehen. Der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Quentin Gärtner, warf der Bundesregierung vor, junge Menschen im Gesetzgebungsverfahren außen vor gelassen zu haben. Zudem sei die Kommunikation rund um das Losverfahren „ein Desaster“ gewesen. „Man hat noch nicht ausreichend verstanden, dass es um die Lebensperspektiven junger Menschen geht“, kritisierte Gärtner.
Auch die Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings, Daniela Broda, kritisierte, dass der Gesetzentwurf viele junge Menschen verunsichere. „Sie fühlen sich nicht einbezogen, unzureichend informiert und in ihren Zukunftsentscheidungen alleine gelassen“, sagte sie.
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Thomas Röwekamp (CDU), kündigte an, dass das Gremium sich am 3. Dezember abschließend mit dem Gesetz und einer möglichen Empfehlung für Änderungen befassen soll. Kurz danach soll das Gesetz im Parlament beschlossen werden.




