Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog
Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog.
04.11.2025
epd
epd-Gespräch: Ingo Lehnick

Tel Aviv (epd). Nach einem Eklat um einen Völkermord-Vorwurf an Israel in einem Gottesdienst in Jerusalem ruft die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen, Adelheid Ruck-Schröder, zu einem offenen Dialog auf. In der Region voller Spannungen müsse das Leid auf beiden Seiten des Nahost-Konflikts wahrgenommen und benannt werden, sagte die westfälische Präses dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Ansinnen der Christen müsse sein, Brücken der Verständigung und des Friedens zu bauen. Auch wenn die Spuren „nur ganz zart“ da seien, hätten Religionen das Potenzial, friedensstiftend zu wirken. Zum Dialog gebe es keine Alternative.

Der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land, Sani Ibrahim Azar, hatte am Freitag in seiner Predigt im internationalen Gottesdienst zum Reformationsfest mit Blick auf die Lage in den palästinensischen Gebieten gesagt: „Aber wie sieht Reformation nach zwei Jahren Völkermord aus? Was bedeutet Reformation, wenn wir eine Welt, ein Land betrachten, das so zerbrochen ist?“ Den Hamas-Überfall auf Israel vom 7. Oktober 2023 als Auslöser des Gaza-Krieges erwähnte er nicht.

Begriff Völkermord nicht akzeptabel

Daraufhin verließ der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, den Gottesdienst, den er gemeinsam mit einer Delegation des nordrhein-westfälischen Landtags besucht hatte. Die NRW-Delegation um Landtagspräsident André Kuper (CDU), der auch Ruck-Schröder angehörte, äußerte sich „entsetzt“ über die Wortwahl des palästinensischen Bischofs. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) distanzierte sich, der Begriff „Völkermord“ stehe einer Verständigung und Versöhnung entgegen.

Ruck-Schröder nannte es nach ihrer Rückkehr von der Delegationsreise sehr schmerzlich, dass ausgerechnet ein christlicher Gottesdienst einen Juden veranlasst habe, die Kirche zu verlassen. Für die Verständigung sei das in Deutschland stark mit dem Holocaust verbundene Wort „Völkermord“ ein „Skandal“ im Sinne eines Stolpersteins - so laute die ursprüngliche Bedeutung des aus dem Griechischen stammenden Wortes „Skandalon“. Aus deutscher und auch aus christlich-jüdischer Sicht sei der Begriff Völkermord oder Genozid „absolut nicht akzeptabel“.

Leid und Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten anerkennen

Es brauche sowohl den christlich-jüdischen Diskurs als auch einen innerkirchlichen Dialog, betonte die westfälische Präses. Sie wolle auch mit Bischof Azar darüber sprechen und ihn zu seiner Verabschiedung im Januar besuchen, kündigte sie an. Es sei wichtig, mit den palästinensischen Christen im Kontakt zu bleiben und ihr Leid und die Menschenrechtsverletzungen wahrzunehmen und anzuerkennen, die sie erleben.

Im Westjordanland hätten palästinensische Christinnen und Christen anschaulich die Übergriffe jüdischer Siedler etwa durch Brandstiftungen und gewalttätige Behinderungen der Olivenernte geschildert, die ihre Lebensgrundlagen bedrohten, sagte Ruck-Schröder. In Israel besuchte die Delegation unter anderem den Ort des Nova-Musikfestivals an der Grenze zum Gaza-Streifen, bei dem die palästinensische Terrororganisation Hamas vor zwei Jahren 378 junge Menschen getötet und 44 weitere verschleppt hatte.