Gelähmter soll mit Gehirn das Smartphone steuern

Drei Ärzte am OP-Tisch
fotolia/Abel Mitja Varela
Medizinsch verbergen sich 256 Mikroelektroden in dem Gerät, welches die Ärzte als Schnittstelle ins Gehirn eingesetzt haben. (Symbolbild)
Erstmaliger Eingriff in Europa
Gelähmter soll mit Gehirn das Smartphone steuern
Ein Patient mit Querschnittslähmung hat in München eine Hirn-Computer-Schnittstelle erhalten - ein in Europa bislang einmaliger Eingriff. Das ist auch eine ethische Herausforderung, sagt Ethikprofessor Ienca, der das Projekt begleitet.

Der fünfstündige Eingriff erfolgte durch ein Team des Klinikums Rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM), wie die TUM am Mittwoch mitteilte. Mit der Operation soll der 25-jährige Patient in die Lage versetzt werden, künftig sein Smartphone und einen Roboterarm allein mit seinen Gedanken zu steuern. Laut TUM-Ethikprofessor Marcello Ienca, der das Projekt eng begleitet, stellt dies auch eine ethische Herausforderung dar, wie er dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Seit einem Motorradunfall mit 16 Jahren ist Michael Mehringer, der im oberbayerischen Kreis Rosenheim wohnt, vom Hals abwärts gelähmt. Er beteiligte sich an der Studie "Künstliche Intelligenz für Neurodefizite", für die die TUM nun weitere Betroffene sucht.

Das Gerät soll Forschung ermöglichen, die Betroffenen künftig mehr Lebensqualität, Unabhängigkeit und Teilhabe eröffnen kann. Dabei müssten aber immer die Interessen des Patienten im Fokus stehen, sagte Ienca: "Der Patient darf nie Mittel zum Zweck der Forschung sein." Forschung entstehe im Dienst des Menschen. Sie müsse immer seine Würde, Freiheit und Integrität achten. Doch solange diese Grundprinzipien gewahrt seien, sei es "geradezu eine moralische Verpflichtung, solche Entwicklungen voranzutreiben".

Das Gerät in Mehringers Gehirn besteht aus 256 Mikroelektroden, mit denen sich Signale aus dem für komplexe Greifbewegungen zuständigen Hirnbereich ableiten lassen. Nach dem Eingriff haben laut TUM nun die eigentlichen Forschungsarbeiten im Labor begonnen, wo Mehringers Schnittstelle zweimal wöchentlich an einen Computer angeschlossen wird, Daten ausgelesen und Künstliche-Intelligenz-Algorithmen trainiert werden.

Hochsensible biomedizinische Daten

Diese Daten sind laut Ienca hochsensibel, weil sie neuronale Aktivität abbilden - "also etwas, das mit unseren Gedanken und Handlungsabsichten verbunden ist". Darum müssten sie mit derselben Sorgfalt behandelt werden wie bestimmte genetische oder medizinische Daten. "In der Biomedizin gelten besonders strenge Regeln", so der Ethiker - anders als im außerklinischen Bereich.

Zwar gebe es bislang keine Hinweise, dass Schnittstellen die Persönlichkeit "verändern", sagte Ienca. Sie könnten jedoch das Selbstverständnis des Patienten beeinflussen, etwa durch ein neues Abhängigkeitsgefühl durch Technik. Darum werde er während der Studie psychologisch betreut. Zentral sei, dass der Patient vor dem Eingriff verstehe, worum es geht: "Die Betroffenen müssen nachvollziehen können, was die Operation bedeutet, welche Chancen realistisch sind und welche Risiken bestehen", sagte Ienca. Diese Technologie könne Teilhabe stark fördern, indem der Patient neue Autonomie gewinne. Zugleich müsse dafür gesorgt werden, "dass der Zugang zu solchen Innovationen nicht vom Einkommen oder Wohnort abhängt".

Nach einigen Wochen Training mit den decodierten Hirnsignalen ist laut TUM ein erster Erfolg da: Wenn Mehringer auf dem Bildschirm die Bewegungen eines Cursors beobachtet und in Gedanken nachahmt, können die Forschenden aus den neuronalen Daten ablesen, welche Bewegungen er sich vorstellt. Mit der Operation hat der TUM zufolge erstmals in Europa ein Querschnittsgelähmter eine Schnittstelle bekommen. 2022 hatte das interdisziplinäre Forscherteam aus Medizin, Neuro- und Ingenieurwissenschaften bereits einer Schlaganfall-Patientin mit Sprachstörung ein solches Interface eingesetzt. In Deutschland leben laut TUM etwa 140.000 Menschen mit Querschnittslähmung, jährlich kommen rund 2.400 Betroffene neu hinzu.

Bei der Suche nach Lösungen für Menschen mit schweren körperlichen Einschränkungen sehen sich die Wissenschaftler vor allem im Wettbewerb mit Forschungseinrichtungen in den USA. Für die Studie sucht das Münchner Team weitere junge Erwachsene aus dem Münchner Raum.