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Psychologische Diagnosen
Wie wir Menschen für krank erklären, statt ihnen zu helfen
chrismon: Herr Padberg, ich bin in einer Whatsapp-Gruppe, in der neulich jemand voller Freude verkündet hat, dass er jetzt offiziell ADHS hat. Woran liegt es, dass man heutzutage Diagnosen herbeisehnt, die man früher lieber nicht haben wollte?
Thorsten Padberg: Ich glaube, viele Menschen sind mit sich unzufrieden. Mit dem, was sie leisten oder wie sie im sozialen Umfeld klarkommen. Die Diagnose ist ein Weg, aus dieser Unzufriedenheit herauszukommen.
Inwiefern hilft das?
Wir leben in einer Zeit des sogenannten "Brain or Blame"-Dilemmas. Entweder ist es ein persönliches, schwerwiegendes Defizit oder es muss eine andere Ursache haben. Diese Ursache soll heute eben das Gehirn sein, das anders funktioniert. Für viele ist das angenehmer, als zu sagen: Vielleicht bin ich einfach nicht so leistungsfähig oder sozial, wie ich es gern wäre oder wie es erwartet wird. Und es gäbe viele weitere mögliche, durchaus schwerwiegende Ursachen für Aufmerksamkeits- und Aktivitätsprobleme.

