Berlin (epd). Menschen im Bürgergeldbezug müssen sich auf deutlich striktere Regeln einstellen. In bestimmten Fällen werde es künftig möglich sein, alle Leistungen inklusive der Mietzahlungen zu streichen, sagte Bundessozialministerin Bärbel Bas (SPD) nach einer Nachtsitzung des Koalitionsausschusses am Donnerstag in Berlin. „Wer nicht mitmacht, wird es schwer haben“, warnte sie. Von Gewerkschaften, Grünen und Linken kam scharfe Kritik an den „drakonischen“ Maßnahmen.
Die Spitzen der schwarz-roten Koalition hatten vom frühen Abend bis in die Nacht hinein im Kanzleramt über verschiedene Themen diskutiert. Beim Bürgergeld ist laut einem am Vormittag verbreiteten Beschlusspapier vorgesehen, dass für Menschen, die einen ersten und zweiten Termin beim Jobcenter versäumen, der Regelsatz umgehend um 30 Prozent gekürzt wird. Nach dem dritten versäumten Termin werde er auf null gesetzt. Klappt es auch danach nicht mit den Treffen, „werden alle Leistungen einschließlich Kosten der Unterkunft komplett eingestellt“. Für Härtefälle soll es Ausnahmen geben.
Pflichtverletzungen - dazu zählt etwa die Ablehnung eines Weiterbildungsangebots - sollen mit einer Kürzung des Regelsatzes um 30 Prozent geahndet werden. „Sofern der Leistungsberechtigte die Arbeitsaufnahme verweigert“, wird der Regelsatz gestrichen und die Miete direkt an den Vermieter überwiesen.
„Wir verschärfen die Sanktionen bis an die Grenze dessen, was verfassungsrechtlich zulässig ist“, sagte Bas. Die Union habe bei den Sanktionen noch „viel früher ansetzen“ wollen, berichtete sie aus den Gesprächen. Bas äußerte sich überzeugt, dass die Reform das Bürgergeld, das künftig Grundsicherung heißt, „auch aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger gerechter“ mache.
Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch sagte der Düsseldorfer „Rheinischen Post“ (Freitag), die verschärften Sanktionen würden „Obdachlosigkeit befördern und Menschen in Kriminalität treiben“. Das Vorgehen sei „menschlich verwerflich“. Die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cansin Köktürk, erklärte in Berlin, die Regierung „droht Menschen mit Hunger und nennt das Sozialpolitik“. Da das Grundgesetz das Existenzminimum garantiere, seien die Pläne zudem verfassungswidrig.
Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Werneke, sagte, die Pläne „verschärfen die Lage für viele Menschen“. Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Yasmin Fahimi, beklagte eine Schieflage der Debatte: „Statt darüber zu diskutieren, wie wir Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren können, sollen nun drakonische Sanktionen verhängt werden, um vielleicht ein paar Hundert Menschen aus dem Bürgergeld zu drängen“, sagte sie dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (Freitag).
Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks, Holger Hofmann, forderte, Sanktionen gegen Familien mit Kindern auszuschließen. Die Kürzungen würden „Kinder in jedem Fall unverhältnismäßig hart treffen“, erklärte er in Berlin. Auch der Kinderschutzbund appellierte: „Kinder und Jugendliche haben ein gesondertes Schutzrecht.“
Neben der Bürgergeld-Reform verständigten sich die Koalitionsspitzen auch auf letzte Details der sogenannten Aktivrente. Wenn jemand nach der Regelaltersgrenze weiter einem sozialversicherungspflichtigen Job nachgeht, soll er oder sie dafür einen Steuerfreibetrag von 2.000 Euro im Monat in Anspruch nehmen können. Nur das darüber liegende Einkommen wird für die Festlegung des Steuersatzes berücksichtigt. Die Regelung, die von Sozialverbänden kritisch gesehen wird, soll 2026 starten und bereits nach zwei Jahren evaluiert werden.