Berlin (epd). „Immer lauter, immer unverschämter“: Am zweiten Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel hat sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bestürzt über zunehmenden Antisemitismus in Deutschland gezeigt. Die Entwicklung beschäme ihn, sagte Merz in einer am Dienstag in Berlin veröffentlichten Videobotschaft. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte bei einem Besuch in Leipzig, wer Jüdinnen und Juden bedrohe oder sogar angreife, „greift uns alle an“. Beide äußerten sich zugleich positiv zu den Friedensbemühungen in Nahost.
Am 7. Oktober 2023 hatte die palästinensische Terrorgruppe Hamas mehrere Orte in Israel überfallen, rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 240 in den Gaza-Streifen verschleppt. Merz sagte in seiner Videobotschaft, der 7. Oktober sei „als schwarzer Tag in die Geschichtsbücher des jüdischen Volkes eingegangen“.
Deutschland erlebe seit dem Überfall eine „neue Welle des Antisemitismus“, sagte der Kanzler. Er bat die Menschen, auf jüdische Bürgerinnen und Bürger und deren Gemeinden zuzugehen: „Zeigen wir alle, dass wir an ihrer Seite stehen. Und dass wir gemeinsam alles dafür tun werden, dass Jüdinnen und Juden hier in Deutschland ohne Angst leben können, dass sie mit Zuversicht leben können.“
Steinmeier sprach am Dienstag in Leipzig in der Brodyer Synagoge mit Mitgliedern der Israelitischen Religionsgemeinde über das jüdische Leben und gewachsene Judenfeindlichkeit nach dem 7. Oktober. Das Treffen in der orthodoxen Synagoge fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Steinmeier sagte laut Bundespräsidialamt in dem Gespräch: „Ich will, dass Jüdinnen und Juden ohne Angst in Deutschland leben können.“ Kritik an der Politik Israels dürfe niemals als Rechtfertigung für Anfeindungen oder Übergriffe gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland missbraucht werden.
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, nannte unterdessen das Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland „extrem eingeschränkt“. Menschen würden nicht mehr offen ihre jüdischen Symbole zeigen oder bestellten zum Beispiel eine Pizza unter einem anderen Namen, sagte Klein im ARD-„Morgenmagazin“. „Das beschämt mich sehr.“
Auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, beklagte, Antisemitismus zeige sich in Deutschland „immer unverhohlener“. Hass und Hetze gegen jüdische Menschen seien Teil des Alltags geworden: „Das ist unfassbar und unerträglich“, erklärte Stetter-Karp.
Der Angriff vor zwei Jahren löste einen Krieg zwischen Israel und der Hamas aus, bei dem im Gaza-Streifen Zehntausende Menschen getötet wurden. In der ägyptischen Hauptstadt Kairo begannen in dieser Woche neue Gespräche zur Beendigung des Konflikts.
„Die Hoffnung ist riesig“, sagte dazu der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, dem TV-Sender Phoenix. „Aber mit der Hoffnung verbunden ist auch die Angst, ein weiteres Mal enttäuscht zu werden.“ Die Chancen auf eine Lösung schätzte Seibert „sehr viel besser“ als bei vorherigen Friedensbemühungen der vergangenen zwei Jahre ein.
Auch Klein äußerte die Überzeugung, man sei so nah wie nie an einer Friedenslösung. Merz sagte: „Wir setzen große Hoffnung in den Friedensprozess.“ Steinmeier erklärte in Leipzig laut Bundespräsidialamt, alle hofften, „dass die aktuellen Bemühungen um Frieden endlich zum Erfolg führen“.
Wenn der Krieg endet, steht Deutschland nach Angaben von Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan (SPD) bereit, den Wiederaufbau im Gaza-Streifen zu unterstützen. Die Menschen dort bräuchten Hoffnung und Perspektiven, sagte Alabali Radovan in Berlin.