Soll Doping im Sport erlaubt werden?

Schwimmer von unten gesehen schwimmen im Becken in Singapur bei Meisterschaft .
Xue Yuge/XinHua/dpa / evangelisch.de (M)
Schwimmen ist eine Disziplin bei den "enhanced games" in Las Vegas.
Kolumne Evangelisch kontrovers
Soll Doping im Sport erlaubt werden?
Wenn bei den "Enhanced Games" im nächsten Jahr Topsportler gegeneinander antreten, soll das Doping ausdrücklich erlaubt sein. Die Veranstalter werben für eine Athletik der Kraft und der außerordentlichen Leistung. Was ist davon aus ethischer Sicht zu halten?

Deutsche Zeitungen haben neulich berichtet, dass der deutsche Schwimmer Marius Kusch  an den ""Enhanced Games"" teilnehmen wird. Vor ein paar Jahren hat er bei den Europameisterschaften Gold in 100 Meter Schmetterling geholt. Doch bei den ""Enhanced Games"" soll das Doping ausdrücklich erlaubt sein. Für Mai 2026 sind in Las Vegas Wettbewerbe in Gewichtheben, Sprinten und Schwimmen geplant.

Die Veranstalter haben bereits einen Versuch durchgeführt, in dem ein gedopter Schwimmer anscheinend den gültigen Weltrekord über 50 Meter Freistil gebrochen  hat. Das soll ein Vorgeschmack auf kommenden Mai sein: Die Freigabe des Doping soll für spektakuläre Höchstleistungen und neue Rekorde sorgen.

Ein australischer Athlet und ehemaliger Weltmeister  hat schon angekündigt: "Ich werde bis zum Anschlag volltanken und [den Rekord] in sechs Monaten brechen." Den Hunger auf die Sensation befeuern die Veranstalter, indem sie ein Preisgeld von 250.000 US-Dollar für einen ersten Platz ausloben. Für neue Rekorde im 50-Meter-Freistilschwimmen oder im 100-Meter-Sprint soll es sogar jeweils eine Prämie von einer Million Dollar geben.

Die Veranstalter

Gestartet hat die Initiative der "Enhanced Games" ein australischer Milliardär, der dann die Unterstützung des deutschen Milliardärs Christian Angermayer gewonnen hat. Inzwischen sind weitere Investoren wie Donald Trump Jr. oder Peter Thiel eingestiegen. Auf der Website und in den sozialen Medien ist die Rede von "Superhumanity": Es entstehe ein neuer Menschenschlag, der zu außerordentlichen Höchstleistungen fähig ist. Besonders fällt auf der Website aber die Vermarktung auf: Es werden Mittel zum Kauf angeboten, die den Testosteronspiegel heben. Könnten nicht wir alle – oder zumindest die amerikanische Kundschaft – ein bisschen Superman sein?

Was spricht dafür?

Wenn die "Enhanced Games" tatsächlich stattfinden, wie sich die Veranstalter das vorstellen, könnten sich bei manchen die Vorstellungen davon verändern, was der sportliche Wettkampf eigentlich ist und wie wir vom Menschen denken. Angermayer meint, der Reiz der Sache liegt darin, dass es uns Menschen letztlich einfach um Rekorde geht. Uns fasziniert nicht die Prinzipienreiterei über den Wettbewerb unter den Bedingungen des Natürlichen, sondern die schiere Kraft und Leistung. "Der Mensch ist darauf programmiert, den schnellsten Mann oder die schnellste Frau sehen zu wollen", sagt er , "wir wollen nicht den schnellsten natürlichen Menschen sehen." Nichts sei verwerflich am Doping, wenn es freiwillig geschieht: Jeder kann mit seinem Körper tun, was er oder sie will. Weshalb nimmt man also den Ausnahmeathleten die Möglichkeit, mit besonderen Mitteln das Undenkbare zu vollbringen?

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Sollte man Doping im Sport erlauben - zumindest bei ausgewählten Wettkämpfen?

Auswahlmöglichkeiten

Natürlichkeit ist ein problematisches Kriterium: Sport ist an sich eine Kulturtätigkeit, wie der Sportethiker Frank Martin Brunn feststellt. Man kann Doping nicht mit dem Argument verbieten, dass es unnatürlich sei. Trotzdem lässt sich eine Erlaubnis des Dopings nicht begründen. Zwar sind Dopingkontrollen in den regulären Wettkämpfen inkonsequent. Aber die Freigabe des Dopings ist auch keine Lösung. Das zeigt etwa das Beispiel der Schwimmanzüge. Für wichtig halte ich auch die Bedeutung der getrennten Wettbewerbe für Männer und Frauen im Profisport. Die naheliegende Frage der Gesundheitsrisiken spreche ich zum Schluss an.

Weshalb keine Schwimmanzüge?

Werden die Schwimmer bei den "Enhanced Games" dann auch spezielle Schwimmanzüge verwenden, die den Reibungswiderstand mit dem Wasser verringern? Die Investoren versprechen Rekorde, und beim Schwimmen können Hightechanzüge für besondere Geschwindigkeit sorgen. Die Anzüge kamen in den Jahren 2008 und 2009 auf, und innerhalb von zwei Jahren purzelten über 100 Schwimmrekorde - bei Männern und Frauen. Sie wurden 2010 bei Wettkämpfen verboten.

Ich nehme aber stark an, dass auch die "Enhanced Games" solche Anzüge nicht erlauben werden. Die Veranstalter wollen sexy Athleten mit Sixpacks präsentieren, keine Tiefseetaucher. Aber bei einem Verbot der Anzüge wird auch die Annahme bestimmend sein, dass der Wettkampf authentisch sein soll und die Leistung "echt", vom Athleten selbst erbracht. Es ist die schiere Muskelkraft, die fasziniert, nicht das Material des Anzugs. Doch wenn die Veranstalter der "Enhanced Games" keine Spezialanzüge zulassen, können sie ihre eigenen Regeln nicht schlüssig begründen, und die Leidenschaft, mit der sie sich für die Dopingerlaubnis aussprechen, klingt hohl.

Athleten können zwar ihre Körper selbst dopen, etwa zum Aufbau von mehr Muskelmasse. Man könnte einwenden: Das ist etwas anderes als ein Spezialanzug, ein Hilfsmittel, das nicht Teil des Körpers ist. Doch als die Hightech-Schwimmanzüge von den Wettkämpfen ausgeschlossen wurden, lautete die Begründung  oft: Die Anzüge seien "wie Doping, nur eben durch Material." Das Doping soll nun erlaubt sein. Doch die Unterscheidung zwischen dem, was Teil des Körpers ist und was nicht ("Material"), wird den "Enhanced"-Veranstaltern nicht weiterhelfen. Sie ist ähnlich rutschig wie die Unterscheidung zwischen natürlich und künstlich, gegen die sie sich richten.

Anabolika, die den Muskelaufbau verstärken, sind ebenfalls nicht Teil des Körpers, wären bei "Enhanced" aber erlaubt. Profischwimmer rasieren sich außerdem Beine und Brust. Einmalig manipulieren sie ihre Körper mechanisch, um die Oberflächenreibung zu verringern. Die etablierten Schwimmwettbewerbe verbieten außerdem das Einreiben des Körpers mit Vaseline und anderen "glide creams."

Man kann sich auch ein Dopingmittel vorstellen, das man längerfristig schluckt und das die eigene Haut besonders ölig macht. Dann hätte die Haut Eigenschaften eines Spezialanzugs. Vielleicht wirkt es im Vergleich zum Spezialanzug natürlicher, wenn die eigene Haut stärker fettet. Aber das Argument der Natürlichkeit soll ja bei den "Enhanced Games" nicht mehr entscheiden. Wer Doping erlaubt, muss auch Spezialanzüge zulassen.

Weshalb Frauenwettbewerbe?

Wenn der Investor Angermayer schon den radikalen Schritt geht, Doping auf seiner Veranstaltung zu erlauben, weshalb sagt er dann: Wir wollen "den schnellsten Mann oder die schnellste Frau" sehen? Verstehen Sie mich nicht falsch, aber im 100-Meter-Freistil liegen die Weltrekordzeiten der Männer gut fünf Sekunden unter denen der Frauen, auf der 50-Meter-Strecke 2,7 Sekunden oder mehr. Dagegen verkaufen es die Veranstalter der "Enhanced Games" als eine Sensation, dass ein gedopter Schwimmer nun einen offiziellen Weltrekord um 0,02 Sekunden  unterboten hat. Das ist eigenartig. Welcher Logik folgen die Veranstalter, wenn sie über Bestleistungen im Sport sprechen?

Gesonderte Wettbewerbe für Frauen finde ich gut, denn auch dort sieht man außerordentliche sportliche Leistungen. In der Grundidee der "Enhanced Games" ist es dagegen angelegt, die Leistungen von Schwimmerinnen geringzuschätzen. Man unternimmt außerordentliche Schritte und erlaubt das Doping, damit die Rahmenbedingungen die Leistung nicht im geringsten (0,02 Sekunden!) einschränken. Dann fragt sich aber, weshalb man zugleich an einer Reihe von Wettkämpfen festhält, in der die Bestzeiten absehbar mehrere Sekunden langsamer sind als die der Männer.

Wenn man ernst macht mit dem Prinzip, dass eine minimale Verbesserung der Bestzeit außerordentliche Schritte rechtfertigt, dann müsste man eigentlich auch die unglückliche Konsequenz ziehen, dass gesonderte Wettbewerbe für Frauen im Grunde nur Political Correctness seien. Wenn es bei der Bestzeit bloß um die nackte Zahl geht, und wenn bei dieser Zahl die Umstände irrelevant sein sollen, unter denen sie zustandekam (kein Doping), dann wird man auch nicht mehr lange um Respekt dafür werben können, dass die Bestzeiten der Frauen außerordentlich gut sind – nämlich für Frauen. Die männlichen Schwimmprofis sind einfach mehrere Sekunden schneller, und bei den "Enhanced Games" soll es ja um die nackte Zahl gehen. Wenn man dagegen dem Profisport der Frauen echten Respekt entgegenbringt, dann sollte man die "Enhanced Games" ablehnen.

Die Gesundheit

Ein klassisches Argument gegen das Doping ist, dass es die eigene Gesundheit gefährdet. Es gibt keine Medikamente ohne Nebenwirkungen, und so wird es auch bei den Anabolika sein: Der Verdacht, dass sie Herzprobleme  und hormonelle Störungen hervorrufen, ist nicht aus der Luft gegriffen. Im Unterschied zu Medikamenten sind Anabolika aber kaum systematisch und wissenschaftlich erforscht, und beim Wettkampf werden Mittel – gemessen an dem, was wir gesichert wissen – geradezu unkontrolliert dosiert.

Zugleich setzt man die Athleten einem Teufelskreis aus. Sie wollen einerseits verantwortlich mit ihrem Körper umgehen, doch sie wissen, dass die Konkurrenten dopen. Ein Schwimmer kündigt an: "Ich werde bis zum Anschlag volltanken." Wenn man schon ein Gesundheitsrisiko eingeht, um zu gewinnen, die Konkurrenten das aber auch tun, könnte es irrational erscheinen, mit zu geringer Dosis zu dopen. Es winken immense Preisgelder, und das Ansehen unter den Fans könnte zusätzlich zu leichtsinnigen Schritten verleiten. Eine Million Dollar für einen solchen Rekord auszuloben, ist ein unmoralisches Angebot.

Außerdem signalisieren die Dopingspiele den Amateursportlern, dass Anabolika und andere Dopingmittel weniger gefährlich sind, als man meint, dass sie sogar der Stoff sind, auf den die "wahren" Athleten setzen. Hier gefährden die Sportler nicht nur ihre eigene Gesundheit, sondern indirekt auch die anderer.

Das Menschenbild

Was ist für den Sport aus moralischer Sicht entscheidend? Das olympische Motto "höher, schneller, weiter" könnte Athleten darin bestärken, dass die unbedingte Steigerung der Leistung ein kraftvolles Ideal ist. Doch zugleich hat der Begründer der modernen olympischen Bewegung, Pierre de Coubertin, auch für die Ansicht geworben: "Worauf es im Leben ankommt, ist nicht der Triumph, sondern der Kampf, das Entscheidende ist nicht der Sieg, sondern sich gut zu schlagen." Es kommt nicht bloß darauf an, was man erreicht, sondern auch, wie man es erreicht.

Aus christlicher Sicht ist das besonders zu bejahen. Das Training für eine außerordentliche Leistung ist aller Ehren wert. Eine Religion, die den Gekreuzigten verehrt, kann das Motto "höher, schneller, weiter" aber nicht absolut setzen. Christinnen und Christen sollten vielmehr auch denen besonderen Respekt entgegenbringen, die nicht muskulös und gestählt sind, sondern verletzlich oder die mit einer Behinderung leben.

Aus dieser Sicht sind die "Enhanced Games" ein Schritt in die falsche Richtung. Nimmt man alle Argumente zusammen, ist zu erwägen, ob die Sicherheitsvorkehrungen gegen den Medikamentenmissbrauch zu sportlichen Zwecken scharf genug eingestellt sind.