Yolande fährt bald mit dem Rad zur Arbeit

Fahrschülerin Yolande Maptue aus Kamerun
epd-bild/Detlef Heese/Detlef Heese
Fahrschülerin Yolande Maptue aus Kamerun während einem Fahrradkurs für Migrantinnen in Osnabrück.
Integration auf zwei Rädern
Yolande fährt bald mit dem Rad zur Arbeit
Fahrradfahren gehört in Deutschland zur Alltagskultur. Für die meisten Einheimischen ist es kinderleicht. Nicht so für viele Migranten. Vor allem zugewanderte Frauen tun sich schwer damit. In speziellen Kursen können sie Radfahren lernen.

Abena (Name geändert) hat den Lenker fest im Griff. Runde um Runde dreht die 40-Jährige mit dem Fahrrad auf dem Hof einer ehemaligen Grundschule in Osnabrück. Den Blick konzentriert nach vorne gerichtet, tritt die gebürtige Ghanaerin in die Pedale. Als sie die Handbremse zieht, stoppt das Rad abrupt. Abena kippt nach links und stellt routiniert das linke Bein raus. "Ich kann jetzt Fahrradfahren", sagt sie. "Das freut mich so", schiebt sie hinterher und das Grinsen will gar nicht mehr aus ihrem Gesicht weichen.

Erst seit drei Wochen trainiert Abena mit einem Dutzend weiterer Frauen beim Kurs "Integration erFAHREN". Immer dienstags und freitags treffen sie sich je anderthalb Stunden und üben Fahrradfahren: Junge und Alte, Akademikerinnen und Arbeiterinnen, Mütter und Alleinstehende, allesamt zugewandert - aus der Ukraine, Somalia, der Türkei oder Kamerun.

In vielen Ländern sei Fahrradfahren - zumal für Frauen - längst nicht so verbreitet und selbstverständlich wie in Europa, erklärt Kursleiterin Frauke Barske (37). Dass Frauen nicht Fahrradfahren durften, habe sie selten erlebt. "Aber es ist einfach nicht überall üblich." So wie in Osnabrück bieten der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC), Sportvereine, Landessportbünde oder andere Ehrenamtsinitiativen bundesweit in vielen Städten und Gemeinden Radfahrschulen für Erwachsene an. Die meisten Teilnehmenden sind Migrantinnen. Häufig gibt es Kurse ausschließlich für Frauen.

In Osnabrück stammt die Kurs-Idee aus der Integrationsarbeit. Frauke Barske hat sie bereits 2011 entwickelt und erstmals umgesetzt. Damals studierte die Migrationswissenschaftlerin noch an der Universität Osnabrück. "Beim Quartiersmanagement in einem Stadtteil mit hohem Ausländeranteil hatten sich zwei zugewanderte Frauen gemeldet, die Fahrradfahren lernen wollten." Barske, die heute im Migrationsmanagement beim Landkreis Osnabrück arbeitet, leitet die Kurse ehrenamtlich. Die Zahl der Teilnehmerinnen für die jeweils im Frühjahr und im Herbst angebotenen Kurse ist kontinuierlich gewachsen. "Wir haben häufig mehr Anfragen als Plätze."

Balance halten, Aufsteigen und Bremsen üben

Angeleitet werden Abena und die anderen von ehrenamtlichen Helferinnen. Sie üben mit ihnen Balance halten, Auf- und Absteigen, Anfahren, Bremsen, Slalomstangen umkurven. Auch Verkehrsregeln und einfache Reparaturtipps werden vermittelt. Ulla Tüting (73) kommt mit Galina und Natalia gerade von einem Ausflug auf den umliegenden Straßen zurück. Die beiden Ukrainerinnen können zwar Fahrradfahren, aber im Stadtverkehr fühlen sie sich noch unsicher. "Ihr habt das heute richtig gut gemacht", lobt die Rentnerin, die früher als Erzieherin gearbeitet hat. "Ich glaube, beim nächsten Mal trauen wir uns die gesamte Prüfungsstrecke zu."

Mit dem Fahrrad fahren tun sich vor allem zugewanderte Frauen schwer. In speziellen Kursen können sie das lernen.

Tüting und die übrigen Ehrenamtlichen sind schon mehrere Jahre dabei. Sie haben keine Ausbildung als Trainerinnen, wie sie der ADFC oder der Deutsche Sportbund anbieten. "Wir haben den Kurs selbst entwickelt und uns alles Nötige angeeignet", erläutert Barske. Jede Helferin bringe sich entsprechend ihren Stärken und Kapazitäten ein. Die Polizei ist mit einem Präventionsteam beteiligt, das am Ende auch die Prüfung abnimmt. Versichert sind die Teilnehmerinnen über einen Sportverein, die Ehrenamtlichen über ein Integrationslotsen-Projekt.

Yolande aus Kamerun ist stolz, dass sie schon so gut Slalom fahren kann. Nie zuvor hat die 35-Jährige auf einem Fahrrad gesessen. Sie ist seit vier Monaten in Deutschland und absolviert eine Pflegeausbildung. "Ich will bald mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren." In Deutschland sei das schließlich normal. Außerdem fördere Fahrradfahren die Fitness. Der Kurs bedeute für die meisten Frauen in der Tat viel mehr, als nur eine neue Art der Fortbewegung vermittelt zu bekommen, bestätigt eine Studie der Technischen Universität Dresden aus dem Jahr 2021. Fast 60 Prozent der Zugewanderten vermuteten, dass die meisten Deutschen im Alltag Rad fahren, schreiben die Autorinnen Lisa-Marie Schaefer und Angela Francke.

Radfahren könne also bei den Frauen das Gefühl stärken, dazuzugehören. Zudem verbesserten sie ganz nebenbei auch ihre Sprachkenntnisse. Auch Didem hat ein Ziel vor Augen, das ihr aus ihrer Heimat Türkei völlig fremd ist, erzählt die 53-jährige Ärztin. "Ich will mit meinem Mann und meiner Tochter endlich mal eine Fahrradtour unternehmen." Abena probiert unterdessen das Fahren mit nur einer Hand am Lenker. Trotz einiger Wackler meistert sie sogar eine Kurve. Dabei denkt sie schon an die nächste Herausforderung: "Wenn ich richtig Fahrradfahren kann, will ich als Nächstes auch Schwimmen lernen."