Wiesbaden (epd). Menschen in westdeutschen Grenzregionen leben einer am Mittwoch veröffentlichten Studie zufolge im Durchschnitt kürzer als Menschen auf der Seite der angrenzenden Länder. Die Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden sieht Unterschiede in Gesundheitssystemen und gesundheitspolitischen Maßnahmen zwischen Deutschland und seinen Nachbarstaaten als mögliche Ursachen.
Die Unterschiede in der Lebenserwartung sind nach Angaben des Bundesinstituts zwischen 1995 und 2019 deutlich gewachsen, zu Ungunsten der deutschen Regionen. Grenzregionen seien oft durch engen kulturellen Austausch und vergleichbare sozioökonomische Strukturen geprägt, teilte das BiB weiter mit. Trotzdem fielen die Unterschiede in der Lebenserwartung häufig sogar größer aus als die Unterschiede zwischen Grenzregionen und anderen Regionen innerhalb desselben Lands. „Die Befunde deuten darauf hin, dass nationale Rahmenbedingungen weiterhin einen starken Einfluss auf regionale Sterblichkeitsunterschiede in Europa haben“, sagte Pavel Grigoriev, Mitautor der BiB-Studie.
Ein zweiter Mitautor, Michael Mühlichen, nannte „Unterschiede in Gesundheitssystemen und gesundheitspolitischen Maßnahmen“ als mögliche Ursachen für die unterschiedlichen Lebenserwartungen. Diese führten dazu, dass Früherkennung und Behandlung von Krankheiten oder die Eindämmung riskanter Lebensstile unterschiedlich effizient ausfielen. „Deutschland hat in dieser Hinsicht in den zurückliegenden Jahrzehnten sukzessive den Anschluss an die Nachbarn im Norden, Süden und Westen verloren“, erklärte Mühlichen.
Als Beispiel nannte Mühlichen den Faktor Tabakkonsum. In Dänemark hätten Frauen früher stärker geraucht als Frauen südlich der Grenze. „Inzwischen sind diese Generationen aber weitgehend ausgestorben und die Generationen, die jetzt im sterblichkeitsrelevanten Alter sind, haben im Norden Deutschlands deutlich mehr geraucht als im angrenzenden Dänemark“, erläuterte der Forscher. Dadurch habe sich das Verhältnis der Lebenserwartungen umgekehrt. Auch andere Lebensstilfaktoren wie Alkoholkonsum, Ernährung und Bewegung sowie Stress könnten Einfluss auf bestehende Unterschiede zwischen Regionen haben.
Männer in Deutschland haben demzufolge an der Schweizer Grenze eine um 2,2 Jahre geringere Lebenserwartung als auf der Schweizer Seite, an der dänischen sowie niederländischen Grenze haben sie eine geringere Lebenserwartung um 1,8 Jahre. An der französischen, belgischen und österreichischen Grenze ist die Lebenserwartung auf der deutschen Seite um vier bis sechs Monate geringer.
Bei Frauen treten die größten Unterschiede an der französischen Grenze auf, wo die Lebenserwartung auf der deutschen Seite um 1,5 Jahre geringer ist, und an der Schweizer Grenze, wo sie um 1,4 Jahre geringer ausfällt. An der dänischen Grenze ist die Lebenserwartung auf der deutschen Seite um 1,1 Jahre geringer, an der österreichischen Grenze um 0,8 Jahre und an der belgischen und niederländischen Grenze um vier bis fünf Monate.
Für die Untersuchung wurden Daten aus 277 westeuropäischen grenznahen Regionen im Zeitraum von 1995 bis 2019 ausgewertet. Die Grenzräume zu Polen und Tschechien wurden in der Studie nicht betrachtet.