Karlsruhe (epd). Die gesetzliche Altersgrenze von 70 Jahren für Anwaltsnotarinnen und -notaren ist verfassungswidrig und greift unverhältnismäßig in die Berufsfreiheit ein. Das Ziel des Gesetzgebers, dass ältere Anwaltsnotare ausscheiden und damit jüngeren Rechtsanwälten Platz machen und den Berufsstand verjüngen, sei angesichts des bestehenden Bewerbermangels nicht mehr gerechtfertigt, urteilte am Dienstag das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Ohne ausreichenden sachlichen Grund verletze die Altersgrenze die Berufsfreiheit. (AZ: 1 BvR 1796/23)
Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, wertete das Urteil als „ganz wichtiges Signal gegen Altersdiskriminierung“. Pauschale Altersgrenzen im Arbeitsleben müssten nun generell auf den Prüfstand. „Wenn man mit 70 Jahren als Bundeskanzler für 83 Millionen Menschen Verantwortung tragen kann, dann kann man auch mit 70 als Notar arbeiten“, sagte sie. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wird am 11. November 70 Jahre alt.
Anwaltsnotarinnen und -notare gibt es in Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und in den westfälischen Teilen Nordrhein-Westfalens. Im Gegensatz zu einem hauptberuflichen Notar sind Anwaltsnotare auch als Rechtsanwalt tätig. Nach der Bundesnotarordnung erlischt das Amt des Notars mit dem Ende des Monats, in dem dieser das 70. Lebensjahr vollendet.
Der klagende Anwaltsnotar aus Dinslaken in Nordrhein-Westfalen sah in der Altersgrenze eine Verletzung seiner Berufsfreiheit. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hatte mit Urteil vom 7. August 2023 die Altersgrenze für Anwaltsnotare jedoch für rechtmäßig erklärt. (AZ: NotZ(Brfg) 4/22)
Denn ohne Altersgrenze hätten jüngere Rechtsanwälte „keine hinreichende und planbare Aussicht auf wirtschaftlich leistungsfähige Notariate“. Nach Erreichen der Altersgrenze könne der Kläger immer noch als Rechtsanwalt und als Notarvertreter oder -verwalter tätig sein, argumentierte der Bundesgerichtshof.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die Altersgrenze in unverhältnismäßiger Weise in die Berufsfreiheit der Anwaltsnotare eingreife. Altersgrenzen könnten zwar gerechtfertigt sein, um eine geordnete Altersstruktur innerhalb des Notarberufs zu sichern und um eine gerechte Verteilung der Berufschancen zu erreichen. Dieses Ziel des Gesetzgebers laufe jedoch ins Leere, wenn ein Bewerbermangel vorliegt.
Künftig ändere sich an dem Nachwuchsmangel auch nichts. Zudem gebe es keine Anhaltspunkte, dass sämtliche Anwaltsnotare mit Erreichen des 70. Lebensjahres nicht mehr leistungsfähig sind und daher aus ihrem Beruf ausscheiden sollten.
Die bisherige verfassungswidrige Altersgrenze ist noch bis zum 30. Juni 2026 gültig. Der Beschwerdeführer, dessen Notaramt aufgrund der Altersgrenze erloschen ist, kann sich nach Ablauf dieser Frist erneut auf ausgeschriebene Notarstellen bewerben.