"Bisexualität tut der Gesellschaft gut"

Eine Regenbogenflagge mit weiteren Farben an der Seite in einem Dreieck: Schwarz, braun, blau, rosa, weiß
epd-bild/Christian Ditsch
Flagge zeigen mit der "inklusiven Regenbogenflagge" für Homo-, Bi-, Pan- und Asexuelle, Schwarze und nicht-weiße Menschen (PoCs), Trans*, Intergeschlechtliche und nicht-Binäre.
Pfarrerin Bettina Schlauraff:
"Bisexualität tut der Gesellschaft gut"
Für viele geht dieser Tag heute unsichtbar vorüber: Der Bi-Visibility-Day, Tag der Bisexuellen Sichtbarkeit. Sie ist unter den sexuellen Orientierungen eine der am wenigsten ge-outete Gruppe. Bisexuell zu sein ist wunderbar verbindend und himmelsweit, so die Magdeburger Regionalbischöfin Bettina Schlauraff. Sie findet Bisexualität sollte sichtbar sein, denn sie tute der Gesellschaft gut. - Ihr persönlicher Blick auf die "Sichtbarkeitstage":

Für mich bedeutet es unglaubliche Weite. Mit je einem Fuß in verschiedenen Welten und Sichtweisen zu stehen. Männlich und weiblich, vielleicht auch alles dazwischen und daneben, attraktiv zu finden und als passende Ergänzung zum eigenen Leben. Ein zärtliches Gefühl zu haben für jeden Menschen. Grundsätzlich. Herzbreite und meilenweite Sinne für jede:n.

Es ist ein ganz eigenes "durch die Welt gehen" und es ist tief in meiner Identität. Keine sexuelle Fantasie für nebenbei, kein romantischer Traum. Es ist ein zweierlei und mehrerlei Dasein in mir. Das ist oft verwirrend. Und es war ein großes Rätsel, das ich erst langsam lösen konnte. 

Der Kopf sucht nach einer geraden klaren Lösung für die eigenen Gefühle und nach einer Zuordnung. Dass gerade sich nicht zuzuordnen die Lösung sein könnte, liegt darum lange hinter einer nahen Wand, an der man mit einer Schulter lehnt, während man sich selbst nicht versteht. Eines Tages zulassen können, dass es nicht nur eine Antwort gibt, nicht nur eine Seite, sondern mindestens zwei und vielleicht viele, ist wie eine Explosion im Herzen. Als wenn jemand eine Zwischenwand aufzieht, ein Flügeltor öffnet, das bisher ganze Teile eines selbst verborgen hatte.

Das ist ein erster Frieden. Selbst wissen, was los ist. Ein Wort dafür haben: bisexuell. Es klingt geschwungen und wie eine kleine Melodie, wenn Du es aussprichst. Damit ist aber noch nicht der ganze innere Frieden da. Du bildest Dir ein, es reicht vollkommen aus, wenn Du es in Deinem Herzen in eine Schatzkiste tust und es einfach für Dich behältst und Dich selbst still daran freust.

Du willst niemanden verunsichern. Willst deine:n Partner:in nicht verletzen, deine Kinder nicht gefährden. Deine Gemeinde - weil du bei der Kirche arbeitest - nicht in Aufruhr bringen. Das sagt man nicht laut, dass man bisexuell ist. Die Reihe der Missverständnisse von extrageil bis unanständig ist zu lang, um sie erleben zu wollen.

Lange denkst du, dass es gut geht. Lächelst dich freundlich hetero durch die Welt und beginnst langsam innerlich zu zerreißen. Als würde dein Körper unegal wachsen. Eine Hälfte voll Kraft, die andere verkümmert. Niemand sieht es. Langsam ahnst du, dass du es sagen musst. Obwohl es eigentlich niemanden etwas angeht. Aber du selbst fühlst dich unvollständig und bekommst kaum noch Luft in deinem schiefen Selbst.

Du kannst keinen Kontakt aufnehmen zu Menschen, denen es geht wie dir. Du kannst Missverständnisse nicht auflösen, wenn ein Gegenüber deine Vibrations spürt. Du kannst nur noch auf einem Bein hüpfen. Und siehst kommen, dass es aus dir raus muss. Coming-out ist ein Klischeewort, und doch beschreibt es präzise das Heraustreten aus deinem Schweigen und deiner Hülle eines nicht passenden Bildes.

Und es wird Mut da sein, eines Tages. Genug Mut, es laut zusagen. Erst einer:m. Zur Probe. Dann denen, die dir wichtig sind. Sie werden es unglaublicherweise verstehen. Du wirst deine verkümmerte Seite schütteln können und sie wird plötzlich Platz haben zu wachsen. Wie ein Ursturm wird es in deinem Herzen und Körper sein. Der sich endlich zurechtrückt. Überall. Innen und außen.

Vielleicht wird sich sogar deine Stimme verändern und Dein Geschmack darf plötzlich so unpassend hüpfend sein und dein Blick offener. Es wird nicht darum gehen, es ständig vor dir her zu tragen, sondern es sagen zu dürfen, weil es zu dir gehört. Du wirst dich weiter erklären müssen und überwiegend skeptische Blicke ernten. Von allen Seiten.

Du wirst Beziehungen zu Freund:innen plötzlich klarstellen müssen. Bist etwas weggerückt vom Bild feinster Norm. Aber endlich mehr im Frieden. Kein Endfrieden, aber ein unermesslich größeres Maß an Frieden als je zuvor.  

#bivisibilityday