Therapeut: Kinder brauchen empathische Lehrer und Freundschaften

Therapeut: Kinder brauchen empathische Lehrer und Freundschaften
15.09.2025
epd
epd-Gespräch: Julia Pennigsdorf

Hannover (epd). Angesichts von Einsamkeitsgefühlen bei Grundschülern appelliert der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut Christoph Müller an Pädagogen, Kindern emotional zugewandt zu begegnen. „Für Kinder, die bereits in jungen Jahren viel Zeit in Kita, Schule, Hort verbringen, ist die emotionale Beziehungsqualität besonders wichtig - für sie sind die Erwachsenen elternähnliche Bezugspersonen“, sagte Müller im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dem Deutschen Jugendinstitut in München zufolge fühlen sich 22 Prozent der Fünf- bis Elfjährigen manchmal einsam. Müller ist Leiter des Therapie- und Beratungszentrums „Winnicott Institut“ in Hannover.

Müller bestätigte, dass im Beratungsalltag Einsamkeit ein großes Thema ist. Er wies darauf hin, dass sich Einsamkeit bei Kindern nicht immer durch soziale Isolation oder Rückzug bemerkbar mache. „Natürlich sind es Warnhinweise, wenn Kinder keinen Besuch bekommen, nicht eingeladen werden, keinen Hobbys nachgehen und ständig alleine in ihrem Zimmer sind“, sagte er.

Einsamkeitsgefühle könnten trotz Kontakt zu Gleichaltrigen entstehen. Entscheidend sei die Qualität der Beziehung zu anderen. „In der Therapie erlebe ich häufig, dass Kinder durchaus reale Kontakte haben, aber da geht es oft nur darum, cool zu tun, stark zu sein, sich zu vergleichen und zu performen.“

Das seien Pseudokontakte ohne tiefen, emotionalen Austausch, die es den jungen Menschen nicht erlaubten, ohne Angst ihr Innerstes zu zeigen. „Genau das aber macht Freundschaft ja aus.“ Die sozialen Netzwerke wie Instagram und TikTok verstärkten das Phänomen.

Um die negativen Auswirkungen von sozialen Medien zu begrenzen, hält Müller ein Handyverbot an Grundschulen für sinnvoll. „Kinder und Jugendliche sollten bei der Nutzung digitaler Medien und von Smartphones aktiv begleitet und begrenzt werden“, sagte er.

In seiner therapeutischen Praxis erlebe er, dass Kinder, die zu früh und zu lange unbegleitet an Handys und Internet gewöhnt werden, Regulationstechniken zur Steuerung ihrer Emotionen verlernten. Langeweile, Wut, Frust oder Traurigkeit - viele griffen in diesen Situationen zum Handy und scrollten. „Emotionen werden nicht ausgehalten, sondern über das Handy pseudoreguliert und stillgemacht.“

Eltern, die das Gefühl haben, dass ihr Kind einsam ist, rät der Therapeut, behutsam vorzugehen. Einsamkeit sei mit Scham verbunden, auch bei Kindern. Statt das Thema direkt anzusprechen und so unter Umständen nichts als Abwehr zu erzeugen, sollten Eltern möglichst viel Familienzeit mit ihren Kindern verbringen.

Gemeinsame Mahlzeiten und Aktivitäten könnten dabei helfen, ins Plaudern zu kommen - auch über Probleme, sagte Müller. Er könne Eltern nur ermutigen, in die Qualität ihrer Bindung zu ihren Kindern zu investieren. „Durch gute Beziehungserfahrungen und dem Allein-Sein im Beisein eines Anderen kann die wichtige Fähigkeit entstehen, allein sein zu können, ohne dabei unter Einsamkeit zu leiden.“