Berlin (epd). Angesichts einer weiter hohen Zahl von Fällen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen dringt Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) auf eine baldige Einführung einer Speicherpflicht für IP-Adressen. Sie soll dafür sorgen, dass Sicherheitsbehörden bei der Verfolgung von Tätern mehr leisten können, sagte Dobrindt am Donnerstag in Berlin. Er sei dazu mit der federführenden Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) im Gespräch und rechne damit, dass in den nächsten Wochen ein Gesetzestext vorgelegt werden könne, ergänzte er.
Dobrindt stellte gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamts, Holger Münch, und der unabhängigen Bundesbeauftragten gegen Missbrauch, Kerstin Claus, das BKA-Lagebild zur sexuellen Gewalt gegen Minderjährige vor. Demnach wurden im vergangenen Jahr 16.354 Fälle des Missbrauchs von Kindern und 1.191 Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Jugendliche registriert.
Die Zahl ist gegenüber dem Vorjahr leicht gesunken, für Dobrindt und Münch aber kein Grund für Entwarnung. Die Zahlen seien „zu hoch“, schon weil von einem großen Dunkelfeld ausgegangen werden müsse, sagte Dobrindt. Die Statistik zeichnet damit nach seinen Worten kein vollständiges Bild. Münch ergänzte, jeder einzelne Fall bedeute schweres Leid für die Betroffenen. Die allermeisten Tatverdächtigen - rund 95 Prozent - sind nach seinen Worten Männer.
Deutsche Behörden klären Missbrauchsfälle seit dem Wegfall der Vorratsdatenspeicherung vor allem mithilfe von Daten des US-amerikanischen National Center of Missing and Exploited Children (NCMEC) auf. Münch sagte, eine Auswertung des BKA habe ergeben, dass sich die Aufklärungsquote in Deutschland von aktuell rund 75 Prozent auf mehr als 90 steigern lasse, wenn die von der Koalition vereinbarte IP-Adressen-Speicherung eingeführt wird. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag eine dreimonatige Speicherung vereinbart.
Justizministerin Hubig erklärte am Donnerstag, man werde „den Strafverfolgungsbehörden neue Ermittlungsinstrumente an die Hand geben“, ging auf einen konkreten Zeitplan zur Umsetzung der Speicherpflicht aber nicht ein. Stattdessen verwies sie auf das Vorhaben, fast eine halbe Milliarde Euro in die Justiz zu investieren. Laut Deutschem Richterbund führt unter anderem die Entwicklung im Bereich Kindesmissbrauch zu „Verfahrenszahlen auf Rekordniveau“. Deswegen seien die Pläne für den neuen sogenannten Rechtsstaatspakt wichtig, erklärte der Richterbund.
Missbrauchsbeauftragte Claus forderte unterdessen mehr Regeln, um Minderjährige im Netz besser davor zu schützen, von Missbrauchstätern manipuliert zu werden. Nie sei es für Täter so einfach gewesen, Opfer zu erreichen. Sie erneuerte ihre Forderung nach Altersverifikationen und plädierte dafür, dass Online-Spiele in einer altersgerechten Variante angeboten werden müssen, bei der Erwachsene nicht per Chatfunktionen an Minderjährige herankommen. Man müsse endlich öffentlich eine Debatte darüber führen, „wie eklatant die Schutzlücken im Digitalen sind“, sagte Claus.