Halle (epd). Eine neue Datenbank bietet erstmals systematischen Zugang zu Namen und Lebensdaten von Opfern medizinischer Zwangsforschung in der NS-Zeit. Sie umfasse rund 16.000 Profile von Menschen, die im Nationalsozialismus Opfer von Menschenversuchen wurden, teilten die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Max-Planck-Gesellschaft als Initiatoren der Datenbank am Montag in Halle mit.
Darunter waren Kranke und Behinderte, die Opfer sogenannter „Euthanasie“-Morde wurden, Kriegsgefangene, KZ-Insassen, Zivilisten aus besetzten Gebieten und Opfer der NS-Justiz. Zudem enthält die Datenbank mehr als 13.000 Profile von Menschen, deren Schicksale noch nicht abschließend erforscht sind.
Neben Datensätzen zu den Betroffenen würden Informationen zu einzelnen Experimenten und beteiligten Institutionen bereitgestellt. Privatpersonen könnten mithilfe der Datenbank gezielt nach Angehörigen suchen.
Ausgewählte Biografien veranschaulichten das Schicksal einzelner Betroffener. Eine interaktive Karte gebe zudem Aufschluss über das Ausmaß und die geografische Verteilung der Verbrechen. Die in Englisch veröffentlichte Datenbank stützt sich den Angaben zufolge auf umfangreiche Forschungen des britischen Medizinhistorikers Paul Weindling von der Oxford Brookes University zur Wissenschafts- und Medizingeschichte im Nationalsozialismus.
Zudem beruht sie auf den Ergebnissen des von der Max-Planck-Gesellschaft geförderten Forschungsprojekts „Hirnforschung an Instituten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Kontext nationalsozialistischer Unrechtstaten“. Dieses arbeitet die historischen Zusammenhänge der Gewinnung, Konservierung und Erforschung der Hirnschnitte auf.
In der NS-Zeit sammelten Forscher von Instituten der damaligen Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Vorgängerin der heutigen Max-Planck-Gesellschaft, Hirngewebeproben von den NS-Opfern. Viele dieser Proben wurden auch nach 1945 für wissenschaftliche Zwecke weiterverwendet.
Erst 1999 wurde von dem damaligen Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl (1938-2015) eine Kommission eingesetzt, die die medizinischen Menschenversuche in der NS-Zeit untersuchte. 2001 entschuldigte sich Markl offiziell bei überlebenden Opfern. Der heutige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Patrick Cramer, sagte am Montag, „die Geschichte zeigt uns, wozu Menschen fähig sein können, wenn ein autokratischer Staat ein geltendes humanitäres Wertesystem zugunsten von Rassenideologie und Fanatismus negiert“.
Laut Paul Weindling sind bislang mehr als 30.200 Opfer damaliger medizinischer Menschenversuche bekannt. Die größte Gruppe stammt aus Polen (7.202 Menschen). Aus Deutschland sind 4.147 Opfer nachgewiesen, aus Ungarn 1.749, aus der Tschechoslowakei und der Sowjetunion 1.620 und 1.449.
Leopoldina-Präsidentin Bettina Rockenbach betonte, „wir können mit unserem historischen Erbe nur dann verantwortungsvoll umgehen, wenn es geschichtswissenschaftlich erforscht worden ist und weiter erforscht wird“. Die Datenbank trage daher auch zu einer Erinnerungskultur bei.