München (epd). Der Publizist Michel Friedman warnt Politik und Gesellschaft vor Plattitüden im Kampf gegen Judenhass. „Ich kann es nicht mehr hören: 'Wir stehen an der Seite der jüdischen Menschen', 'Nie wieder!', 'Wehret den Anfängen'“, sagte der frühere stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland am Dienstagabend bei einem Festakt in der Münchner Ohel-Jakob-Synagoge. Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 fingen die Reden von Politikern „wirklich immer mit denselben Sätzen“ an.
Geändert hat sich seiner Auffassung nach wenig: Er wolle zwar keinem Politiker absprechen, dass er diese Sätze ernst meine. „Aber kommen Sie doch bitte nicht erst, wenn es ernst geworden ist.“ Es gebe „Anschläge ohne Ende, rechtsextremen Terror“, sagte Friedman. 80 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes müssten jüdische Menschen immer noch von der Polizei bewacht werden. Auch die Qualität jüdischen Lebens sei schlecht. Für jüdische Kinder sei es keine solche Selbstverständlichkeit, deutsch zu sein, wie es etwa für katholische oder evangelische Kinder eine sei.
Bei dem Festakt in der Ohel-Jakob-Synagoge wurden zwei Jahrestage gefeiert: die Wiedergründung der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern vor 80 Jahren und der Beginn der Präsidentschaft von Charlotte Knobloch vor 40 Jahren. Dass den jüdischen Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Kultusgemeinden aufbauten, in Festreden Mut attestiert werde, wies Friedman zurück. Die wenigen verbliebenen Jüdinnen und Juden seien nicht mutig, sondern „zerbrochene Menschen“ gewesen, die jeden Tag versucht hätten, zu überleben.