Hannover (epd). Die Lebensmittel-Tafeln beobachten eine zunehmende Armut in Deutschland. „Wir merken es an den Zahlen und an der Nachfrage, dass es bundesweit immer mehr armutsbetroffene Menschen gibt“, sagte der Vorsitzende des Vereins Tafel Deutschland, Andreas Steppuhn, am Donnerstag in Hannover zum Auftakt des Bundestafeltreffens 2025. Mit ihrem Angebot an gespendeten Lebensmitteln, die sonst weggeworfen würden, seien die Tafeln eine Art Seismograf für Armut in der Bundesrepublik.
Steppuhn appellierte an die Bundesregierung, für eine „soziale Zeitenwende“ zu sorgen. Die Ursachen der Armut müssten politisch bekämpft werden. „Wir können als Tafeln die Armut zwar lindern, aber der Kampf gegen die Armut ist die Aufgabe von Staat und Politik“, betonte der Vorsitzende der Hilfsorganisation. Zu dem dreitägigen Bundestreffen, das alle zwei Jahre in einer anderen Stadt stattfindet, sind rund 1.000 Tafel-Aktive aus ganz Deutschland nach Hannover gekommen.
Die insgesamt 974 Tafeln in Deutschland retten überschüssige Lebensmittel von Herstellern und Supermärkten und geben sie kostenlos oder gegen einen geringen Beitrag an armutsbetroffene Menschen weiter. Seit der Corona-Pandemie seien immer mehr Menschen auf die Hilfe der Tafeln dringend angewiesen, erläuterte der Verband. In den vergangenen fünf Jahren sei die Zahl der Kundinnen und Kunden um 50 Prozent gestiegen. Ursachen seien vor allem die Folgen der Inflation und des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.
Die Lebensmittelspenden hätten in diesem Zeitraum allerdings stagniert oder seien sogar zurückgegangen. Das führe vor Ort zu Aufnahmestopps und temporären Wartelisten, sagte Steppuhn. Noch immer könne fast jede dritte Tafel in Deutschland keine neuen Kunden aufnehmen. Zwei Drittel aller Tafeln berichteten, dass die Menge der geretteten Lebensmittel nicht ausreiche. Ein Drittel verzeichne einen Mangel an ehrenamtlichen Helfern.
Insgesamt versorgten die Tafeln derzeit bundesweit etwa 1,6 Millionen Menschen. Knapp die Hälfte von ihnen bezieht den Angaben zufolge Bürgergeld. Ein knappes Drittel sind Kinder und Jugendliche, die mit ihren Eltern kämen. 18 Prozent sind Rentner und weitere 18 Prozent Asylbewerber.
Für Menschen mit wenig Geld habe sich die Situation in den vergangenen Jahren dramatisch verschärft, sagte Steppuhn: „Seit 2021 sind die Lebensmittelpreise um 30 Prozent gestiegen. Die Einkommen, Renten und Sozialleistungen wurden hingegen nur geringfügig angepasst.“
Um sich für die Zukunft zu wappnen, setzen die Tafeln zunehmend auf Digitalisierung und bessere Logistik, sagte Tafel-Geschäftsführerin Sirkka Jendis. Ein Meilenstein sei dabei die neu gegründete Allianz für Lebensmittelrettung, die gezielt Lebensmittel-Überschüsse aus der Industrie abholen wolle: „Da gibt es noch viel Lebensmittelverschwendung, und darum wollen wir uns kümmern.“
Mit 75.000 weit überwiegend ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern sind die Tafeln nach eigenen Angaben eine der größten sozial-ökologischen Bewegungen in Deutschland. Pro Jahr retten sie rund 265.000 Tonnen Lebensmittel.